: „So groß ist der Vaterhunger, herzzerreißend“
MÄNNER Heute beginnt in Düsseldorf ein Kongress zum „gefährdeten Mann“. Professor Matthias Franz vom Institut für Psychosomatische Medizin der Uni Düsseldorf erklärt, warum Männer oft früher sterben – und sich in Zukunft von den Frauen abwenden werden
INTERVIEW MARTIN REICHERT
taz: Herr Franz, sie verantworten einen Kongress namens „Neue Männer – muss das sein?“. Hat denn wer was gegen neue Männer?
Matthias Franz: Wir haben den Titel bewusst in dieser schillernden Ambivalenz gehalten. Es geht bei diesem Kongress nicht darum, normative Aussagen zu machen, sondern um eine wissenschaftlich basierte Bestandsaufnahme: Wie geht es den Männern? Und wie geht es ihnen? Nicht gut, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen. Sie begehen dreimal häufiger Suizid als Frauen, erleiden viermal häufiger einen frühen Herztod. Sie trinken und rauchen wesentlich häufiger – und haben eine um fünf bis sechs Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen. Auch die Bildungskatastrophe ist männlich. Aha. Es geht darum, dass Männer aus ihrem Rollengefängnis herauskommen. Sie sind in ihrer Rolle verunsichert, in ihrer männlichen Identität. Und das hat Folgen für ihre Zukunft und ihre Gesundheit. Männer gehen zum Beispiel nicht rechtzeitig zum Arzt, weil sie Hilfe und Abhängigkeit nicht so gut ohne Ängste ertragen können. Diese rigiden männlichen Rollenmuster sind doch längst in Auflösung begriffen. Da haben sie aber sehr leichtfüßige Vorstellungen! Nichts wird man schwerer los als die Vergangenheit, auch über Generationen hinweg. Nachweislich haben Kriegskinder, die ohne Vater aufgewachsen sind, noch heute im Alter stärkere gesundheitliche Beschwerden, als solche, die mit beiden Elternteilen aufgewachsen sind. Aber die neuen Männer … Vielleicht doch noch ein bisschen Wunschdenken! Denken Sie an all die unbewussten Vorstellungen davon, was ein Mann ist. Vier zum Teil verheerende Vätergenerationen haben unser Bild vom Mann nachhaltig geprägt. Der Maschinenmann aus der Wilhelminischen und Weimaraner Zeit, der Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg, diese Bilder von Männlichkeit wirken transgenerational bis heute. Denken Sie an den Erfolg des Films „Das weiße Band“. Wir schreiben das Jahr 2010. Der tote Vater der Nachkriegszeit wurde zwischenzeitlich vom abwesenden Vater abgelöst, ja. Aber es fehlen weiter die Vorbilder. Wir müssen uns klarmachen, dass diese Bilder und Vorstellungen latent alle noch präsent sind. Da gab es doch das Jahr 1968. Ja, in dieser Zeit entstand der Ruf nach emotional kompetenten Vätern – auch aus einer tiefen Enttäuschung an den Vätern – es waren Suchbewegungen, die auch durch ein destruktives Vakuum im Männerbild motiviert waren. Den abwesenden Vater haben wir aber noch immer. Und die neuen Väter, die sehr bewusst und aktiv an der Erziehung ihrer Kinder teilnehmen. Wo gibt es die denn wirklich? 18 Prozent der Väter nehmen zumeist nur die ersten beiden Monate der Elternzeit in Anspruch – und das auch oft gegen den Willen ihrer Chefs. Aber es stimmt schon, es gibt da endlich ein stärkeres Bewusstsein. Ist nicht auch der Fall Robert Enke, der Nationaltorwart, der sich aufgrund von Depressionen das Leben nahm, ein Beispiel dafür, dass das Thema Männer und Gefühle offener verhandelt wird? Also zunächst mal ist der Fall Robert Enke ein Beweis dafür, dass es den Maschinenmann noch immer gibt. Männer, die unter allen Umständen funktionieren müssen. Und wenn sie es nicht mehr tun, nehmen viel zu viele sich eher das Leben, als sich anzuvertrauen. Bei seiner Beerdigung haben alle geweint. Männer wie Frauen. Alle weinen, und danach macht man weiter. Es stimmt aber schon, die Denkpausen werden länger. Männer merken, dass es so nicht mehr weitergeht. Der soldatische Mann ist doch längst nicht mehr stählern. Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan berichten zum Beispiel sehr offen über ihre Traumatisierungen. Früher nannte man Soldaten, die unter einem Posttraumatischen Stresssyndrom litten, „Kriegszitterer“ und behandelte sie im Grunde gar nicht. Auch heute sind sie oft unterversorgt. Es fällt diesen Männern auch noch immer schwer, sich zu diesen Problemen zu bekennen. Übrigens sind es bei den Soldaten in Afghanistan noch immer die Männer, die bluten. Was macht den Männern denn nun so sehr zu schaffen? Zum einen ist das Rollenbild diffus geworden. Sie sollen ein konfliktfähiger, fürsorglicher Familienvater sein, zugleich ein selbstsicherer Mann im Beruf – und dann natürlich auch noch ein Krieger, der im Notfall in der Lage ist, zu kämpfen. Das sind ungeheure Anforderungen. Aber damit käme man vielleicht noch zurecht – wenn man aus der Kindheit ein selbstsicheres Fundament mitbrächte und es nicht noch mit einer permanenten Abwertung des Mannes in den Medien zu tun hätte. Inwiefern? In der Werbung und in Filmen sind Männer häufig Trottel und Deppen, die nicht wissen, wie es geht. Die Männer stürzen in den Abgrund, die kühle Blondine entschwebt mit dem Hubschrauber. Ist das nicht eher die neckische Verfremdung einer Wirklichkeit, die überwiegend von Männern gestaltet wird? Zum Teil. Ich spreche aber auch von der kindlichen Wahrnehmung solcher Bilder. Kleine Jungs werden nur noch als Problemgeschlecht verhandelt, so entsteht ein unklarer Erwartungsraum – und zwar gestaltet überwiegend von Frauen, Erzieherinnen, Lehrerinnen. Das würde jetzt bedeuten, dass Frauen die Gefängniswärterinnen des männlichen Rollengefängnisses sind … Es geht überhaupt nicht darum, dass die Frauen schuld sind. Schuld ist in dieser Frage keine relevante Kategorie – dem Erziehungsmatriarchat stehen ja auch weiter männliche Funktionseliten gegenüber. Mir geht es konkret darum, dass den Jungen männliche Vorbilder in der Erziehung fehlen. Zwei Drittel aller Schulabbrecher sind männlichen Geschlechts – da baut sich eine Welle auf, und die läuft auf uns zu. Sind Sie denn ein Vorbild? Ich weiß nicht. Wenn ich früher meine Söhne in den Kindergarten brachte, hingen regelmäßig ganze Trauben von Jungen an meinen Armen und wollten, dass ein Mann bei ihnen bleibt. So groß ist der Vaterhunger. Das war herzzerreißend. Das heißt, Jungen sind Opfer? So wenig es hier um Schuld geht, so wenig geht es um eine Opferkonkurrenz mit Frauen oder Mädchen, die völlig zu Recht über dreißig Jahre gefördert wurden. Es geht um die Kinder und deren Entwicklungsbedürfnisse. Es ist an der Zeit, die Gräben von vorgestern zu verlassen und nun auch das Leid vieler Jungen und Männer zu sehen. Könnte es nicht sein, dass die Jugend von heute gar nichts mehr von diesen Gräben wissen will, von denen sie sprechen? Die jungen Leute sind tatsächlich lösungsorientierter und weniger ideologisch. Aber wir alle entstammen einem Zeitalter der ideologischen Ersatzidentitäten. Und auch die heute jungen Männer, die mit weiblicher Sozialisation aufwachsen sind, fürchten im erwachsenen Leben oft eine erneute fordernde Weiblichkeit. Mutti ist also an allem schuld. Nein. Von diesen jungen Männern wird etwas erwartet, das sie gar nicht leben können, ohne ein Vorbild zu haben. Als Ergebnis dieser Verunsicherung wenden sie sich von den Frauen ab, wenn diese auf die Entwicklung konkreter gemeinsamer Perspektiven zusteuern. Oh. Na ja – es könnte so in Zukunft noch weniger Familien und noch weniger Kinder geben. Die Familienministerin ist daher aufgefordert, nationale Bildungs- und Gesundheitskonzepte für Jungen und Männer zu erstellen. Ritalin ist jedenfalls keine geeignete Form der Breitenfrühförderung für Jungen.
■ www.maennerkongress2010.de Lesen Sie dazu auch die taz-Sonderausgabe zum Internationalen Frauentag am 8. März. Thema: „Der postmoderne Mann“