: Gefährliche Schwindsucht
GELD Die Eurorettung durch die Europäische Zentralbank geht auf Kosten der Sparer, die immer weniger Zinsen erhalten. Jetzt kommen die Notenbanker ihren Kritikern entgegen
PETER BOFINGER, WIRTSCHAFTSWEISER
VON NICOLA LIEBERT
BERLIN taz | Hilfe, die Eurorettung belastet den deutschen Steuerzahler und unterminiert den Wert des Euro! Eine ganze Reihe von Klagen ist deshalb vergangenes Jahr beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Die Richter meldeten durchaus Zweifel an den Rettungsmaßnahmen an, insbesondere am unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Am Dienstag und Mittwoch wird nun in Karlsruhe darüber verhandelt. Doch schon jetzt hat die EZB in vorauseilendem Gehorsam den Anleihenkauf eingeschränkt, wie die Frankfurter Allgemeine meldet. Worum geht es dabei?
Normalerweise verlangen Geldgeber von Krisenländern wegen des höheren Risikos höhere Zinsen. Die Zinszahlungen belasten dann die Staatshaushalte und führen zu noch höheren Defiziten. Indem sich die EZB bereit erklärte, die Anleihen dieser Länder in unbegrenztem Umfang zu kaufen, hielt sie die Zinsen niedrig. Inzwischen aber kommt sie ihren Kritikern offenbar durch eine Volumenbegrenzung auf maximal 524 Milliarden Euro entgegen.
Strittig ist der Anleihenkauf vor allem deswegen, weil er zusammen mit dem nur noch bei 0,5 Prozent liegenden Leitzins der EZB auf eine Flutung der Wirtschaft mit billigem Geld hinausläuft. Und wo viel Geld im Umlauf ist, drohe Inflation, so Kritiker. Aus diesem Grund kam es in letzter Zeit zu einem Riss zwischen dem italienischen EZB-Präsidenten Mario Draghi und den oft aus Deutschland stammenden Mahnern, darunter Bundesbankchef Jens Weidmann. Dabei hat Draghi auch in Deutschland viele Unterstützer. Inflation sei angesichts einer Teuerungsrate von derzeit nur 1,5 Prozent nichts als ein Schreckgespenst. „Anleihenkäufe sind durchaus mit dem Mandat der EZB vereinbar, die Geldwertstabilität zu wahren“, findet etwa der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. „Denn die EZB muss nicht nur die Inflation, sondern auch die Deflation bekämpfen.“ Gemeint ist eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen, sinkenden Gewinnen, sinkenden Löhnen und sinkender Nachfrage, die direkt in die Rezession führt.
Andere, wie der Bremer Ökonom Rudolf Hickel, weisen darauf hin, dass die Währungsunion ohne das viele Geld der EZB längst vor dem Kollaps stünde. Die Schuldnerländer bekämen Geld nur noch zu Wucherzinsen, sie wären schnell pleite. In dieser Situation wäre allerdings auch eine Intervention der Politik nötig, vor allem der „Verzicht auf die elende Austeritätspolitik“, wie Hickel vor kurzem in der taz schrieb.
Denn tatsächlich hat die Krisenbekämpfung allein durch die EZB Risiken und Nebenwirkungen. So spricht viel dafür, dass sich die Inflation derzeit andere Wege bahnt. Die Verbraucherpreise steigen zwar kaum, weil die Nachfrage angesichts von prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen dafür zu schwach ist. Wohl aber lassen sich heftige Preissteigerungen an den Börsen und auf den Immobilienmärkten beobachten. Von einer „Vermögenspreisinflation“ sprechen Fachleute – vulgo: Blase. Und solche Blasen drohen früher oder später zu platzen, was regelmäßig Krisen der Realwirtschaft nach sich zieht.
Auch eine andere Folge der EZB-Politik ist dramatisch: Allein in Deutschland verlieren Sparer einer Studie im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen zufolge 14,3 Milliarden Euro im Jahr, weil die niedrigen Sparzinsen die Entwertung der Ersparnisse durch die Inflation nicht mehr ausgleichen. Die Deutsche Bank etwa bietet derzeit auf Festgeld bei zwölf Monaten Laufzeit nur 0,8 Prozent Zinsen – bei einer erwarteten Inflationsrate von 1,7 Prozent in diesem Jahr. Hier ein Rechenbeispiel, wozu das führt: Nehmen wir an, jemand legt 1.000 Euro auf einem Festgeldkonto an, statt dafür auf einem Musikportal 1.000 Songs für je 1 Euro herunterzuladen. Am Ende des Jahres bekommt er jedoch für seine nunmehr 1.000 Euro plus 8 Euro Zinsen nicht etwa 1.008 Songs, sondern wegen der Geldentwertung nur mehr 991.
Durch die Inflation verlieren jedoch nicht nur Ersparnisse, sondern auch Schulden langsam, aber sicher an Wert. Dank der negativen Realzinsen müssen die Schuldner dafür keinen vollen Ausgleich zahlen. Das erklärt die Popularität der Niedrigzinspolitik.
Doch die Schwindsucht erfasst nicht nur Schulden und Sparguthaben. Sie betrifft genauso auch die private Altersvorsorge wie etwa die Riesterrente. Die Folge der andauernden Niedrigzinspolitik: die versprochenen Zusatzrenten fallen viel kleiner aus als ursprünglich versprochen. Bei neu abgeschlossenen Lebensversicherungen gilt nur noch ein Garantiezins von 1,75 Prozent. Das gleicht gerade mal die Inflation aus; zusätzliches Geld gibt es nicht. Irgendwann wird die Eurokrise zwar Geschichte sein. Nicht aber die Altersarmut.