: berliner szenen Auf Schlittschuhen
Das Messer im Kopf
Es war immer noch prima kalt an diesem Nachmittag. B. hatte sein Auto geparkt und wir gingen mit den Schlittschuhen in Tüten, die wir trugen, zum Neuen See. Vor uns gingen zwei junge Frauen etwas unsicher auf weißen Schlittschuhen. Als wir sie überholten, fragten sie, ob wir ihnen einen Arm leihen könnten.
Irgendwie war es verwirrend, mit den beiden Unbekannten am Arm so zu gehen. Derlei körperliche Nähe ist man ja nicht gewohnt. Außerdem war die Frau, die sich an meiner Schulter festhielt, auf ihren Schlittschuhen viel größer als ich. Später sah ich, wie die eine der anderen das Laufen beibringen wollte. Ihre unsicheren Bewegungen hatten etwas Rührendes. Ich war aber in meinem Element, auch wenn der Schuh etwas drückte und es doch einige Zeit brauchte, die frühere Gewandtheit wiederzufinden. Ohnehin war das Eis an vielen Stellen holprig und nur kleine Abschnitte bildeten wirklich glatte Flächen.
Schlittschuhlaufend hatte man das Gefühl, das Eis besser zu machen. Im Dunkeln fuhr man ein letztes Mal zum S-Bahnhof Tiergarten hinaus, als gäbe es gleich Abendessen. Nahe am Ufer liefen die kleinen Kinder. Manche hielten sich ängstlich am Arm von Erwachsenen, manche konnten es prima allein, auch wenn sie immer wollten, dass man hinguckte. Der eine kleine Junge war wohl von dem anderen geschubst worden und schimpfte sehr, allerdings zu seinem Vater gewandt. Er sagte, er würde seinem Exfreund am liebsten ein Messer in den Kopf stechen, damit der nicht mehr richtig denken könne und falsche Antworten gebe, zum Beispiel sieben statt elf. Aber nachdem der eine dem anderen ein Brötchen gegeben hatte, waren sie wieder Freunde.
DETLEF KUHLBRODT