Nix gewesen

ERINNERUNG Jahrelang hatte es für internationale Kontroversen gesorgt. Am Dienstag begann der Bau am Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach, auch Erika Steinbach war mit von der Partie

Geradezu überschwänglich bedankte sich Angela Merkel bei ihrer Parteikollegin Erika Steinbach. Diese habe den Anstoß für einen zentralen Erinnerungsort gegeben, mit dem eine Leerstelle geschlossen worden sei

VON SONJA VOGEL

Erinnerungspolitik ist ein glitschiges Terrain. Bundeskanzlerin Angela Merkel indes merkte man den unsicheren Grund, auf dem sie stand, nicht an, als sie am Dienstag unweit des Potsdamer Platzes in Berlin zum Baubeginn des umstrittenen Dokumentationszentrums der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sprach. „Flucht und Vertreibung sind eine gesamteuropäische Gewalterfahrung“, betonte die Bundeskanzlerin. Aber auch an die Vertreibung von Millionen Deutschen aus Mittel- und Osteuropa zu erinnern, sei „ein Gebot der Menschlichkeit und historischen Redlichkeit“.

Bis 2014 wird darum im Berliner Deutschlandhaus auf gut 3.000 Quadratmetern ein Dokumentationszentrum mit Bibliothek, ein Zeitzeugenarchiv und eine Dauerausstellung entstehen, um „ein sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung“ in der Folge des Zweiten Weltkrieges setzen. So hatte es die Bundesregierung 2005 in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Einen Vorgeschmack auf die Ausstellung bekommt man seit gestern auf dem Vorplatz des Deutschlandhauses. Dort führen provisorische Schautafeln durch die europäische Geschichte von Flucht und Vertreibung – neben der „Flucht der deutschen Zivilbevölkerung“, untergliedert in „wilde“ und „organisierte“ Vertreibung, geht es zum Beispiel auch um die der Muslime in den Balkankriegen 1912/13.

Zwischenzeitlich habe man kaum mehr an den Baubeginn glauben können, sagte die Kanzlerin, doch sei dies gelungen, „aber manch einer musste über seinen Schatten springen“. An Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen nach 1945 zu erinnern, bedeute, den historischen Kontext nicht zu vergessen: die NS-Verbrechen. Nun gebe es endlich ein inhaltliches Konzept für die Ausstellung des Dokumentationszentrums, das „auch im Ausland ein überwiegend positives Echo fand“. Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Vorsitzender des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, betonte ebenfalls, dass eine Ausstellung gelungen sei, in der sich der Bund der Vertriebenen (BdV) wiederfinden könne und die „von unseren osteuropäischen Nachbarn nicht als Provokation, sondern als Beitrag zur Aussöhnung gesehen wird“.

Ob dem wirklich so ist? Schließlich hatte es jahrelange Kontroversen um das Zentrum gegeben. Der Schwerpunkt nämlich wird auf Flucht und Vertreibung der Deutschen liegen. Vor allem in der Ukraine und in Polen fürchtete man darum einen Revisionismus, der das Schicksal der durch die Nazis Ermordeten und Vertriebenen vor 1945 zweitrangig werden ließe. Für Zündstoff sorgte vor allem die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach. Gestern jedoch passte kein Blatt zwischen Merkel und ihre Parteikollegin. Gemeinsam betraten sie den Festsaal. Geradezu überschwänglich bedankte sich die Kanzlerin bei Steinbach dafür, „den Anstoß für einen zentralen Dokumentations- und Erinnerungsort“ gegeben zu habe. Ihr sei es zu verdanken, dass eine „zentrale Leerstelle in der Erinnerung des Landes“ geschlossen worden sei.

Steinbach hatte im Jahr 2000 mit dem inzwischen verstorbenen SPD-Politiker Peter Glotz eine Stiftung gegründet, um ein „Zentrum gegen Vertreibung“ einzurichten – was international für Furore sorgte. Das „Zentrum gegen Vertreibung“ stand gewissermaßen Pate für das Dokumentationszentrum der Regierung.

Letztlich entschied diese sich nach Beschwerden aus Polen im Jahr 2008 zur Gründung der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, die unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums mit der Erarbeitung des Zentrums betraut wurde. Im Stiftungsrat saß neben den Kirchen auch der BdV. Seither allerdings sorgt die Stiftung weniger wegen ihrer Arbeit als wegen politischer Verwerfungen für Aufmerksamkeit. Vor allem eine Personalie sorgte für Ärger: Erika Steinbach war für den Stiftungsbeirat nominiert. Für Polen ein Affront, hatte die CDU-Politikerin doch 1991 die Oder-Neiße-Grenze abgelehnt. Es kam zum Koalitionskrach. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) schließlich zog die Reißleine und Erika Steinbach verzichtete. Ihre Parteikollegin Angela Merkel schwieg damals. Nun feiert sie mit Steinbach, als sei nichts gewesen.