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Archiv-Artikel

Abschied vom Eckrentner

RENTE Weil immer weniger Menschen durchgängig arbeiten, wird bei vielen das Geld im Alter knapp

„Die Altersarmut ist in Deutschland auf dem Vormarsch“

ADOLF BAUER, SOZIALVERBAND

BERLIN taz | Alois A. ist ein sogenannter Eckrenter. Als solcher bekommt der Mann, soweit er im Westen lebt, rund 1.220 Euro Rente. Im Osten erhält er etwa 150 Euro weniger im Monat.

Dafür hat Alois A. 45 Jahre durchgängig gearbeitet (mit Durchschnittseinkommen) und lückenlos in die Rentenkasse eingezahlt. Das Problem: Alois A. gibt es nicht als reale Person, er ist der Max Mustermann der Rentenberechnung. Man braucht ihn, um Rentenentwicklungen zu erklären.

Zum Beispiel diese: Jeder zweite Rentner bekam 2012 monatlich weniger als 700 Euro Rente, also weniger als Hartz IV. So titelte Bild in der Dienstagsausgabe und bezog sich auf Zahlen der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Danach erhalten 20 Prozent der RentnerInnen sogar weniger als 300 Euro im Monat.

Reflexartig reagierten Renten- und Sozialexperten. So erklärte Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes SoVD: „Die Altersarmut ist in Deutschland auf dem Vormarsch.“

Nun hat aber das eine mit dem anderen wenig zu tun. Denn die jetzt veröffentlichten DRV-Zahlen besagen lediglich, wie hoch die Einkünfte aus der gesetzlichen Rente sind. Sie sagen nichts darüber aus, über welche Einkünfte die SeniorInnen möglicherweise noch verfügen.

So bekommt beispielsweise ein seit Jahren selbständiger Arzt, der nach seinem Studium kurzzeitig in einem Krankenhaus angestellt war und in dieser Zeit in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt hat, später auch nur für diese Zeit eine geringe gesetzliche Rente. Gleichwohl ist er über Berufsverbände abgesichert und bezieht im Ruhestand durchschnittlich 2.600 Euro.

Das trifft auch auf andere FreiberuflerInnen wie Anwälte sowie Beamte zu. Mütter, die zunächst erwerbstätig waren und später wegen der Kinder aus dem Job ausgestiegen sind, bekommen zwar eine geringe Rente, leben aber möglicherweise vom Einkommen ihres Mannes. Oder von der Witwenrente, die in der DRV-Statistik nicht ausgewiesen ist. Von der Statistik auf die Alterssicherung zu schließen sei falsch, sagte ein DRV-Sprecher.

Gleichwohl ist Altersarmut als Fakt nicht kleinzureden. Denn Biografien wie die des „Eckrentners“ Alois A., die es zweifellos in West und Ost gegeben hat, sind selten geworden. Heute weisen zahlreiche Erwerbsbiografien Karriereknicks, Arbeitslosigkeit und Auszeiten wegen Kindererziehung und Pflege auf. Das wirkt sich auf die Rente aus.

So erhalten heute RentnerInnen im Westen durchschnittlich 700 Euro monatlich. Wobei Männer auf rund 970 Euro kommen und Frauen auf 470 Euro. Der Ostrentner hat durchschnittlich 830 Euro zur Verfügung und die Ostrentnerin 680 Euro. Das Niveau wird weiter absinken. Der Gesetzgeber plant, das Rentenniveau im Jahr 2030 auf 43 Prozent zu senken.

Derzeit beziehen rund 2,6 Prozent der SeniorInnen zusätzlich zu ihrer Rente Sozialhilfe. Die Dunkelziffer, die „verdeckte“ Armut,dürfte bei 8 bis 10 Prozent liegen, sagt der grüne Rentenexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn. „Die Zahlen werden weiter steigen“, sagt er. Seine Partei hat ausgerechnet, dass 2030 rund 2,3 Millionen Menschen in Altersarmut landen könnten. Bereits jetzt haben 760.000 RentnerInnen noch einen Job, weil ihr Ruhegeld nicht zum Leben reicht. SIMONE SCHMOLLACK