: Warum Bäcker über den Bolkestein stolpern
Politiker streiten über die Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Aber wofür steht eigentlich „Bolkestein“?
Wer ist Bolkestein?Frits Bolkestein wurde 1933 in Amsterdam geboren. Der Vater, ein Richter, war vier Jahre Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Nach einer Karriere als Shell-Manager ging Bolkestein als Mitglied der rechtsliberalen „Volkspartij voor Vrijheid en Democratie“ (VVD – Volkspartei für Freiheit und Demokratie) in die Politik. 1982 wurde er Außenhandelsminister. Der wirtschaftsliberale Bolkestein betrieb eine harte Konsolidierungspolitik. In den Folgejahren zählte er in weiteren Kabinettsämtern und als Fraktionschef der VVD zu den bekanntesten Politikern in Holland. Nach seinem Rücktritt 1998 wurde er 1999 von der niederländischen Regierung als EU-Kommissar für den Binnenmarkt nominiert. In Brüssel kämpfte Bolkestein für freien Wettbewerb, was ihm den Ideologievorwurf einbrachte. Bis zum Ende seiner Amtszeit 2004 konnte er sein wichtigstes Projekt, eine neoliberale Dienstleistungsrichtlinie, nicht umsetzen.Was genau ist diese „Bolkestein“-Richtlinie?Mit der von Bolkestein vor gut zwei Jahren erarbeiteten Richtlinie will die EU-Kommission für die Dienstleistungen jenen europaweiten Binnenmarkt schaffen, von dem die Industrie bereits seit mehr als zehn Jahren profitiert. „Bolkestein“ soll auf einen Schlag einheitliche Rahmenbedingungen für Dienstleistungen, vom Einzelhandel über freie Berufe wie Architekten bis hin zu Autovermietungen, Unternehmensberatern und Wachdiensten schaffen. Die Kommission erhofft sich davon einen großen Wachstumsschub durch ein breiteres Angebot und mehr Konkurrenz. Umstritten ist insbesondere das Herkunftslandprinzip, nach dem bei Dienstleistern, die im EU-Ausland arbeiten, die Sozialstandards und Löhne ihres Heimatlandes gelten sollen.Was wären die Folgen?Frisöre, Altenpfleger oder Bäcker aus den neuen osteuropäischen EU-Ländern würden dann nach den Tarif- und Sicherheitsvorschriften ihrer Heimat in der ganzen EU arbeiten können. Die Anbieter in Hochlohnländern wie Deutschland oder Frankreich kämen durch die neue Dumping-Konkurrenz unter Druck. Wer ist gegen die Richtlinie?Seit der Vorstellung der Pläne durch den damaligen Kommissar Bolkestein laufen Gewerkschaften, attac und linke Gruppen Sturm gegen die Richtlinie. Im Jahr 2005 forderten der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder soziale Korrekturen bei „Bolkestein“. Seitdem wird der Entwurf schrittweise von der EU-Kommission entschärft.Gibt es Kompromisschancen?Seit einigen Tagen gibt es einen neuen Kompromissvorschlag. Danach wäre es den Staaten erlaubt, das Herkunftslandprinzip unter bestimmten Bedingungen einzuschränken. Die Länder, in denen eine Dienstleistung erbracht wird, wären für die Kontrolle der Anbieter zuständig. Die Kommission wollte dies den Heimatbehörden überlassen. Zudem sollen einzelne Branchen wie das gesamte Gesundheitswesen von der Geltung der Richtlinie ausgenommen werden.Wann wird entschieden?Am 14. Februar stimmt das Europäische Parlament über die Richtlinie ab. Wenige Tage vorher, am 11. Februar, planen der Deutsche und der Europäische Gewerkschaftsbund Großkundgebungen in Berlin und anderen Hauptstädten.
MARTIN TEIGELER