„Sprachbad“ im Kindergarten

Frühe Mehrsprachigkeit in Bremen? Nach einem Jahr „Early English“ im Kindergarten ist bis zur dritten Grundschulklasse Pause. Dabei gibt es gute Beispiele: Ein Kindergarten bei Kiel nutzt das kindliche Potential in konsequenter Weise

Bremen taz ■ Wenn sich Lilly Godzilla-gleich über Pauls Lego-Gebäude hermacht, kassiert sie seit einiger Zeit nur noch ein knappes „No“. Das „Yes“ hat das „Ja“ fast komplett verdrängt und gesungen wird sowieso nur noch auf Englisch. „My name is Paul. How are you? I am very well, thank you!“

Paul ist fünf und geht in einen Bremer Kindergarten. Jeden Freitag um 8.00 Uhr besucht er die „Early English“-Stunde. „Very early“, so das müde Witzchen zerknitterter Eltern, die ihren Kindern den Weg in eine zweite Sprache etwas ebnen wollen. Einmal in der Woche singen, zählen und plaudern die Vorschulkinder in der Sprache der britischen Nachbarn – mit großer Begeisterung. Doch nach einem Jahr ist Schluss mit Annie und Alex, so die Protagonisten des von Paul Lindsey erdachten Konzepts des frühen Lernens. Englisch wird an Bremer Grundschulen erst wieder ab der dritten Klasse unterrichtet. Das sei ja schon was, betont Rainer Gausepohl, Sprecher vom Senator für Bildung und Wissenschaft. Bevor der Englischunterricht eingeführt wurde, habe es gar nichts gegeben. Also, lieber ein bisschen als gar nichts? „Wir haben zu viele andere Probleme; Pisa hat uns stark gebeutelt.“ klagt Gausepohl.

Da ist die Grundschulreferentin Lotta Ubben schon euphorischer. Die bildungspolitische Vorstellung sei die, dass Englisch im regulären Unterricht über Lieder und Spiele mitlaufe. Das sei unbedingt gewollt, aber „oft sperren sich die LehrerInnen.“ Auch die bunte Erstklässler-Mischung mit und ohne Englischkenntnisse erschwere die Einführung der Sprache in der ersten Klasse.

Es geht aber auch anders. Kindgerecht und weitgehend kostenneutral, wie der Blick ins nahe Schleswig-Holstein zeigt. Vom Kieler Anglistik-Professor Henning Wode wissenschaftlich begleitet und dokumentiert, wenden die AWO-Kindertagesstätte und die Claus-Rixen-Grundschule in Altenholz bei Kiel seit 1996 die Immersionsmethode an. Der Kindergarten: ein ganz normaler Kindergarten mit 22 Kindern pro Gruppe mit einem Personalschlüssel von 1,5 – etwas üppiger als in Bremen also. Die Kinder nehmen vom ersten Kindergartentag an ein „Sprachbad“, so die Übersetzung für Immersion. Eine Erziehungskraft spricht Deutsch, die andere immer nur Englisch. Die zweite Kraft sollte möglichst eine MuttersprachlerIn sein, oder jemand „der auf Englisch träumt“, erläutert Sabine Devich-Henningen, Leiterin des Altenholzer Kindergartens.

Jede Handlung werde kommentiert, Lehrbücher seien nicht nötig. Der Apfel, der Tisch, das Buch oder die eigenen Schuhe seien das perfekte Lehrmaterial. „So lernen Kinder die zweite Sprache wie ihre Muttersprache, nämlich intuitiv.“ Sabine Devich-Henningsen ist absolut überzeugt von dem Konzept. Sprache bekomme eine ganz andere, viel bewusstere Qualität. Und mit dem meist britischen Einfluss der Fremdsprachler habe ein sehr höflicher Umgang im Kindergarten Einzug gehalten. „Please“ und „Thank you“, aber auch „Bitte“ und „Danke“ seien mittlerweile selbstverständlich.

Die Frage nach Kindern mit Migrationshintergrund drängt sich auf. Für diese bedeutet das „Sprachbad“ das Erlernen einer dritten Sprache. „Bei den Migrationskindern gucken und hören wir ganz genau hin“, betont Devich-Henningsen. Gebe es zu Hause einen guten familiären und sprachlichen Hintergrund, sei das Erlernen der dritten Sprache kein Problem. Für Kinder aus schwierigen Familienzusammenhängen gebe es eine Deutsch-Deutsche Gruppe, die aber den englischen Gruppen gegenüber vollkommen offen sei.

Der Erfolg liegt offenbar auf der Hand – warum findet die Immersionsmethode so selten Anwendung? In Bremen gibt es ganze zwei bilinguale Kindergartengruppen, einen deutsch-englischen und einen deutsch-spanischen, aber keine einzige bilinguale Grundschule. Für Sabine Devich-Henningsen scheitert es „ganz klar“ an der großen Abneigung vieler LehrerInnen. „Ich bin erschüttert, wie wenig sich Lehrer selbst oft zutrauen. Und wie unsicher sie ihrer eigenen Kompetenz gegenüber stehen.“ Der konservativ-nationale Gedanke, gepaart mit einer erschreckenden Unbeweglichkeit stecke immer noch in viel zu vielen Köpfen fest. Köpfe derer, die eben auch in den entscheidenden Gremien säßen. Aber auch viele Eltern hätten sich anfangs gescheut, ihre Kinder in eine bilinguale Schule zu geben. 1999, als an der Claus-Rixen-Grundschule die erste Immersionsklasse angeboten wurde, habe man „mühselig 16 Kinder zusammenkratzen können“. Im darauf folgenden Jahr habe das schon ganz anders ausgesehen. „Da wollten auf einmal alle.“ Und die Migrationskinder der Deutsch-Deutschen Kindergartengruppe, seien selbstverständlich auch in eine deutschsprachige Klasse eingeschult worden.

Annette Harasimowitsch