Ist Steven Soderbergh eine Gefahr für das Kino?

Gegen den Filmemacher wettert halb Hollywood. Er hat es gewagt, seinen neuen Film „Bubble“ gleichzeitig im Kino, im Fernsehen und auf DVD herauszubringen. Eine Revolution

Trevor Horn hat die Hymne der Medienevolution geschrieben. Mit der Band The Buggles veröffentlichte er 1980 den Song „Video killed the Radio Star“. Auch 20 Jahre später richtet die Frage, wie Medieninhalte produziert und verbreitet werden, regelmäßig ein Massaker an. Die CD tötet das Audiotape, fällt aber später der DVD zum Opfer und Bits und Bytes fliegen glitzernd-gnadenlos durch den Raum – wie Ninja-Wurfsterne. „Oh-a-oh, Oh-a-oh.“ Der Buggles-Hit hat viele Remakes erfahren. Seit kurzem zirkuliert in den USA eine neue Cover-Version: „Soderbergh killed the Cine-Star!“

Nicht, dass der Regisseur Steven Soderbergh einen schlechten Film gemacht hätte. Sein jüngstes Werk „Bubble“, ein Thriller aus dem amerikanischen Arbeitermilieu, bekam in den USA sogar sehr wohlwollende Kritiken; in Deutschland ist er noch nicht zu sehen. Im Zentrum der Debatte steht nicht, was Soderbergh den Menschen zeigt, sondern auf welche Art und Weise die Bilder dem Publikum zugänglich gemacht werden. „Bubble“ lief vergangene Woche sowohl im Kino als auch im Pay-TV an – auch die DVD ist auf dem Markt. Das Vertriebsexperiment ist besonders brisant im Kontext der Kinokrise. Das Jahr 2005 war eines der schlechtesten Jahre der Branche überhaupt – die Zahl der Kinobesucher ging in Amerika um acht Prozent zurück und selbst der einst so lukrative DVD-Markt stagniert.

Der Filmemacher Steven Soderbergh – der in seinen Filmen gerne die primitiven Codes und Genres Hollywoods auseinander schraubt – greift mit dem universal realease seines jüngsten Werks die tradierte Praxis der „Distributions-Fenster“ an. Also der zeitlich gestaffelten Vermarktung der Filmbilder in ihren verschiedenen Aggregatzuständen: erst Kino, dann DVD, Kabel, Jahre später Free-TV.

Die Aufregung ist groß. Da ist die Rede von „Revolution“, „Angriff“ und „Attentat“ auf das nationale Heiligtum Hollywood. Soderbergh, so der Präsident der National Association of Theater Owners, John Fithian, sei die „größte Gefahr für die Überlebensfähigkeit der Kinoindustrie“. Die Organisation boykottiert „Bubble“ – obwohl man den kleinen Art-Thriller auch sonst sicher nicht in den Megaplexen gesehen hätte. Auch einige seiner Regisseurskollegen verfolgen Soderberghs Projekt mit Skepsis. Tim Burton etwa sorgt sich um das Kino als Erfahrungsraum, um die hohe Sichtfeld-Abdeckung, den Dolby-Surround-Sound, die Dunkelheit und den kollektiven Rezeptionsprozess.

„We can’t rewind, we’ve gone too far“, singen The Buggles. Und in gewisser Weise trifft das zu. Nach einer Kinopremiere in New York kann man auf dem Nachhauseweg schon die DVD kaufen, bei den Straßenhändlern in den U-Bahnhöfen. Die neuen Filme liegen neben Batterien, Snacks und Alu-Dosen. Wegwerfprodukte eben. Wenn die Medieninhalte in Ziffern zerlegt durch die Luft fliegen, dann wirkt die starre Praxis der Distributions-Fensters wirklich archaisch. Die Medien-User des 21. Jahrhunderts – ausgestattet mit Video-iPods, Breitband-DSL und einer profunden Ungeduld – sind es gewohnt, selbst zu bestimmen, wann und wo sie etwas sehen.

Soderbergh hat keine Angst vor der digitalen Revolution, sondern nutzt ihre Möglichkeiten: DV-Kameras, Schnitt-Software und „wenn alle Kinos digital projizieren, kann ich als Regisseur mit meinem Laptop zu den Kinos gehen und selbst einen Deal machen“. Dass dies zwar zu Adaptionsproblemen der Mainstream-Institutionen, nicht aber zum Untergang von guten Inhalten führen muss, zeigen junge Bands wie Artic Monkeys und Clap your Hands Say Yeah gerade der Musikbranche. Die Musiker hatten sich über das Internet und kostenlose MP3s selbst promotet. Als dann die CD doch auf den Markt kam, landeten die Arctic Monkeys prompt auf Platz eins der Charts. Und ihre Erfahrungsräume, die Konzerte, sind immer ausverkauft.

TOBIAS MOORSTEDT