„Deutliches Signal an den Iran“

Es kann noch einige Zeit dauern, bis der Iran über Atomwaffen verfügt. Dennoch entscheiden die kommenden Wochen, ob der Konflikt um Teherans Atomprogramm friedlich gelöst wird oder nicht, meint Jon Wolfsthal

taz: Herr Wolfsthal, gestern Nachmittag zeichnete sich ab, dass der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mehrheitlich dem Antrag zustimmen will, den Atomstreit mit dem Iran an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen. Damit soll die Führung in Teheran zum Einlenken bewegt werden. Woher kommt die plötzliche Einigkeit zwischen Europa, den USA, Russland und China?

Jon Wolfsthal: Den Kompromiss brachte bereits Anfang der Woche das Treffen der sechs Außenminister in London. Wenn der Report nun an den UN-Sicherheitsrat übergeben wird, wird erst einmal nichts passieren. Bis der IAEA-Gouverneursrat im März wieder zusammentritt. Die Aussicht, dass es keinen UN-Automatismus gibt, der sich dann unaufhaltsam in Gang setzt, hat den Kompromiss für China und Russland möglich gemacht. Dennoch wird dieser Schritt den Iranern deutlich signalisieren, dass die internationale Gemeinschaft besorgt ist und handeln wird.

Teheran hatte bereits wissen lassen, dass es im Fall der Überweisung an den UN-Sicherheitsrat sein umstrittenes Programm zur Uran-Anreicherung wieder aufnehmen werde. Im Westen vermuten einige Beobachter, dass die Iraner nicht in rationalen Kategorien denken. Verhält sich das Land also irrational?

Ich erkenne in Teheran keinerlei irrationales Verhalten, das wäre ja auch nicht sehr konstruktiv, so zu denken. Es ist immer gefährlich, seinen Gegner zu unterschätzen. Die Iraner agieren in einer Art und Weise logisch, die den Prämissen ihrer Weltsicht entspricht. Es ist doch ganz einfach: Die iranische Führung strebt die Position einer regionalen Großmacht an. Die Führung muss daher ihre Aktionsfreiheit sichern und behaupten. Und was hilft ihr dabei am meisten? Natürlich Nuklearwaffen.

Wenn das so klar ist, warum ist es den westlichen Ländern so schwer gefallen, alle Staaten zu einer großen Front gegen den Iran zu vereinen? Schließlich kann es ja in niemandes Interesse sein, außer in Teheran selbst, eine weitere Atommacht fürchten zu müssen.

Einige Länder, die auch im IAEA-Gouverneursrat sitzen, werden niemals eine Position vertreten, die die USA vertreten. Zum Beispiel Kuba oder Venezuela. Die meisten Länder in Asien, Afrika und Europa, die auch im Gouverneursrat vertreten sind, sind allerdings ebenso beunruhigt wie die USA oder die europäischen Länder. Sie teilen unsere Überzeugung, dass das, was der Iran gerade tut, das internationale System unterminiert, innerhalb welchem die Iraner durchaus den Zugang zur Nutzung von friedlicher Nukleartechnologie hätten. Die allermeisten Länder unterstützen daher die gemeinsame Initiative der im UN-Sicherheitsrat vertretenen Staaten.

An welchem Punkt könnte die Strategie der USA und der Europäer, die bislang auf diplomatische Mittel statt auf Drohung setzt, scheitern?

An dem Punkt, an dem die USA nicht mehr glaubwürdig darstellen können, dass der Iran für sein Verhalten einen Preis bezahlen muss. Ebenso an dem Punkt, an dem die USA in Kooperation mit den Europäern den Iranern keine Anreize mehr bieten können oder wollen, damit meine ich Perspektiven, die zeigen, dass es sich für Teheran lohnt, kooperativ zu sein. Daher ist es sehr wichtig, dass der Westen, zusammen mit Russland und China, vereint agiert.

Gesetzt den Fall, die Iraner gehen doch noch auf den Vorschlag des russischen Präsidenten Putin ein, Uran in einem Joint Venture auf russischem Boden unter russischer Kontrolle anzureichern. Wird Washington einer solchen Kompromisslösung zustimmen?

Präsident Bush hat das zunächst Richtige getan und diesen Vorschlag von Präsident Putin öffentlich unterstützt. In Washington gibt es allerdings sehr große Zweifel daran, dass sich die Iraner darauf überhaupt einlassen könnten. Denn obwohl sie stets betonen, dass das nukleare Material nur friedlichen Zwecken dienen soll, wird meiner Ansicht nach immer deutlicher, dass dies nicht der Fall ist. Ich glaube nicht, dass die Iraner ihr Programm stoppen werden, solange es für sie nicht einen zwingenden Grund dazu gibt.

Wie hoch schätzen Sie die reale Gefahr ein, die ein nuklearbewaffneter Iran darstellen würde?

Selbst wenn für die Iraner alles perfekt liefe und wenn nichts Irans Präsidenten Ahmadinedschad aufhielte: Es würde noch einige Jahre dauern, bis der Iran aus angereichertem Uran Nuklearwaffen herstellen kann. Ich denke also, der Westen hat genug Zeit diesen Konflikt zu lösen. Im Moment befinden wir uns aber an einer schwierigen Weggabelung. Die Entscheidungen des Westens und des Irans in den kommenden Wochen werden entscheidend sein für die Frage, wie und in welche Richtung es weitergehen wird. Ob es friedlich bleibt oder nicht.

Sie persönlich glauben an eine diplomatische Lösung dieses Konfliktes. Wie lange wird es dauern, bis das Problem gelöst sein wird?

Das hängt natürlich sehr stark vom Verhalten des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und des Landes ab. Wenn der Iran sich wirklich von seinem Nuklearprogramm abbringen lässt, dann könnte es in sechs Monaten bis einem Jahr zu einem akzeptablen Kompromiss kommen. Das würde aber voraussetzen, dass die Iraner ihr Nuklearprogramm nahezu sofort einfrieren. INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF