: Das Tribunal der Flüchtlinge
Flüchtlinge und MigrantInnen organisieren eine Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland – ein symbolisches aber hochpolitisches Tribunal für die Menschenrechte
■ Tribunal
Das Tribunal findet vom 13. bis 16. Juni auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg statt, täglich ab 10 Uhr, abends gibt es Konzerte
Im Netz: www.refugeetribunal.org
■ Konzertblockade
Am Montagvormittag, den 17. Juni, werden die Forderungen des Tribunals im Rahmen einer Aktion des zivilen Ungehorsams in das Regierungsviertel getragen. Ein Vorkonzert findet am 16. Juni um 19 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche statt.
Im Netz: www.lebenslaute.net
„Alltägliche staatliche Menschenrechtsverstöße treiben Flüchtlinge in Deutschland in Depression und Todesangst. Deshalb haben viele unserer Brüder und Schwestern in den Lagern ihr Leben verloren, während wir hier sind, weil wir auf Schutz und eine bessere Zukunft hoffen. Mit all jener Politik der Ungerechtigkeit, den Misshandlungen und der Frustration glauben wir, dass es Zeit für das Tribunal ist.“ Die Aussage von John Moven und Jerry Bagaza aus dem Flüchtlingslager Fallersleben-Wolfsburg ist Teil des Aufrufs für ein öffentliches Flüchtlingstribunal, das vom 13. bis 16. Juni in Berlin stattfindet.
Die Karawane, eine Organisation, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen einsetzt, hat sich mit weiteren flüchtlingspolitischen Gruppen zusammengeschlossen, um mit dem Tribunal Anklage gegen die Migrationspolitik zu erheben. Die OrganisatorInnen legen der Bundesrepublik zur Last, durch ihre kolonialistische und imperialistische Politik mitverantwortlich für die Fluchtursachen in ihren Herkunftsländern zu sein, die zahlreichen Toten an den europäischen Außengrenzen durch ihre Abschottungspolitik in Kauf zu nehmen und tagtäglich physisches und psychisches Leid in den Flüchtlingsunterkünften zu befördern.
Auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg soll deshalb den Betroffenen die Gelegenheit geboten werden, öffentlich über den Rassismus zu berichten, der ihnen von Behörden und der Gesellschaft entgegenschlägt. „Das Tribunal setzt Zeugenaussagen von Flüchtlingen zusammen, die auf lange Sicht eine Verhandlung gegen die Bundesrepublik Deutschland ermöglichen sollen. Aber das wichtigste Ziel ist es, die Selbstbestimmung der Flüchtlinge, ihre Solidarität untereinander und ihren Widerstandswillen zu stärken“, erklärt Rex Osa, ein Pressesprecher des Flüchtlingstribunals. Nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Flüchtlingsorganisationen und geladene ExpertInnen wie AnwältInnen, ÄrztInnen und AkademikerInnen sollen ihr Wissen und ihre Fachkenntnisse über den Umgang der Mehrheitsgesellschaft und des Staats mit den Flüchtlingen einbringen. Es geht den OrganisatorInnen darum, persönliche Geschichten mit Expertenwissen zusammenzubringen und eine Dokumentation fortdauernder Menschenrechtsverletzungen zu veröffentlichen.
Das Tribunal ist Teil der Flüchtlingsproteste, die sich Anfang letzten Jahres verstärkten, als sich der Asylbewerber Mohammed Rahsepar in einem Lager in Würzburg das Leben nahm, weil er die Bedingungen der Unterbringung nicht mehr aushielt. Seitdem haben sich die Flüchtlinge im „Refugee Strike“ organisiert. Mit einem Fußmarsch und einer Bustour von Würzburg nach Berlin, mit Demonstrationen und Zeltlagern auf öffentlichen Plätzen versuchten sie, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie wollen sich nicht nur gegen die rigide Abschiebepolitik wehren, sondern kritisieren auch das Verbot, sich frei in der Bundesrepublik bewegen zu können, die Pflicht, in Gemeinschaftsunterkünften leben zu müssen, das Gutscheinsystem für persönliche Einkäufe und die Verweigerung von Deutschkursen. All diese Beschränkungen isolieren die Flüchtlinge vom Rest der Gesellschaft. Deshalb wählten sie „Break Isolation“, die Isolation durchbrechen, zum Slogan ihrer Aktionen.
Das Tribunal beginnt mit einer Demonstration von Flüchtlingsfrauen, die nicht nur gegen rassistische Ausgrenzung und Erniedrigung kämpfen, sondern auch gegen die sexistische Diskriminierung, die sie in ihrer Heimat, in deutschen Behörden, in den Lagern und auch unter den Flüchtlingen erleben mussten. „Häufig werden Flüchtlingsgruppen von Männern dominiert. Wir Frauen werden nicht gehört, weil wir zu wenige sind. Deshalb brauchen wir unsere eigenen Gruppen, mit denen wir unsere Forderungen vertreten können“, beschreibt Aisha, eine Flüchtlingsfrau, den Grund für die Demonstration und die Notwendigkeit für Frauenräume.
Neben den Berichten der Betroffenen und ExpertInnen präsentiert das Tribunal auch Installationen und musikalische Darbietungen. Die Forderungen des Tribunals sollen am 17. Juni mit einer Konzertblockade ins Regierungsviertel getragen werden. Ein Orchester samt Chor wird mit südafrikanischer Folklore, Werken von Hanns Eissler, Manu Chao und anderen dem Tribunal lautstark Gehör verleihen.
Zoé Sona