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Archiv-Artikel

Vogelgrippe kann düsterer Ernst werden

Mit den Zugvögeln kommt die Angst zurück: Im Fall der Fälle, so schätzen Experten, könnten hierzulande 100.000 Menschen sterben. Kosten der Grippewelle in Deutschland: bis zu 75 Milliarden Euro. Größtes Problem wären Panikreaktionen

VON BEATE WILLMS

Das Szenario ist leicht auszumalen: Ein deutsches Krankenhaus meldet den ersten Fall von Vogelgrippe beim Menschen. Wenig später sickert durch, dass das Virus mutiert ist. Es kann dann von Mensch zu Mensch übertragen werden. Unsicherheit macht sich breit.

Noch ist die Vogelgrippe zwar eine Tierseuche und hierzulande auch nicht aufgetreten. Doch Experten fürchten, dass mit den Zugvögeln im Frühling das gefährliche Virus H5N1 nach Deutschland kommt. Der Fall der Fälle könnte so aussehen: Die Hausarztpraxen sind überlaufen. Die Pharmalabore arbeiten wie besessen an einem Impfstoff. Das einzige wirksame Medikament Tamiflu ist ausverkauft. Weitere Erkrankungen werden bestätigt, Todesfälle bekannt. Die Menschen geraten in Panik. Arbeitnehmer melden sich krank. Kinos und Restaurants bleiben geschlossen, Banken schränken ihre Öffnungszeiten ein, der öffentliche Verkehr gerät ins Stocken. Die Wirtschaft bricht zusammen.

Der Ernstfall lässt sich auch in Zahlen beschreiben. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen hat es versucht: Anhand von Modellen, mit denen die Folgen der Aidsepidemie in Südafrika berechnet wurden, entwirft er eine mögliche Bilanz für die Grippewelle.

Demnach würden sich allein in Deutschland 300.000 Menschen so heftig infizieren, dass sie stationär behandelt werden müssten, jeder Dritte der Erkrankten stirbt. Der Ausfall von Arbeitskraft, die Arztkosten sowie die Folgen der Todesfälle belasten die Volkswirtschaft in einem Jahr mit 25 bis 75 Milliarden Euro. Das entspricht 1,1 bis 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), also der Summe aller in Deutschland produzierten Waren und Dienstleistungen. Dabei, so Augurzky, sind so genannte Rückkopplungseffekte in der Wirtschaft noch gar nicht berücksichtigt. Das können Einschränkungen der Produktion sein, weil es Lieferengpässe gibt.

Auf eine ähnliche Größenordnung kommt die Weltbank. Ökonom Milan Brahmbhatt leitet dort das Ostasienprogramm. Er glaubt, dass eine Pandemie die Weltwirtschaft jährlich 800 Milliarden US-Dollar kosten könnte. Das wären zwei Prozent des weltweiten BIPs. In der gleichen Größenordnung hatte der Ausbruch der Lungenkrankheit Sars vor zwei Jahren die Wirtschaft in Südostasien schrumpfen lassen. Eine globale menschliche Seuche würde neben Touristikkonzernen, Transportunternehmen und der Konsumbranche auch die Versicherer treffen. Die Ratingfirma S & P erwartet allein versicherte Schäden in Höhe von 200 Milliarden Dollar.

Als größtes Problem identifiziert die Weltbank die zu erwartenden Panikreaktionen – die schon auftreten können, bevor die echte weltweite Grippewelle heranbrandet. In einem Bericht heißt es: „Interessanterweise werden die wirtschaftlichen Folgen zuallererst nicht durch die Opfer ausgelöst, sondern durch den unkoordinierten Versuch von Privatpersonen, sich vor der Infektion zu schützen.“