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Archiv-Artikel

„Deutsch auf dem Schulhof? Gute Idee“

Die grüne Fraktionschefin Renate Künast formuliert Erwartungen an die Einwanderer in der Bundesrepublik – und kritisiert gleichzeitig die neuen Vorschläge der CDU-regierten Länder: „Integrationspolitik darf nicht nur Sache der Innenminister sein“

INTERVIEW GEORG LÖWISCH

taz: Frau Künast, Sie wollen sich verstärkt um das Thema Integration kümmern. Warum?

Renate Künast: Mir geht der Alarmismus bei dem Thema auf die Nerven. Jedes Detailwissen ist plötzlich unwichtig, und für alles gibt es plakative Vorschläge. Die einen reden über Pflichtkurse so wie jetzt die CDU-Innenminister, die anderen über Gesetze, die Deutsch auf dem Schulhof durchsetzen.

Meinen Sie mit Alarmismus auch die Grünen-Chefin Claudia Roth? Eine Berliner Schule führt die Deutschpflicht auf dem Schulhof ein, und Ihre Parteivorsitzende wettert gleich gegen „Pausenreglementierung“.

Sie hat klar einen Zwang abgelehnt, dann aber anhand der Details dieses Konzept doch positiv bewertet. Ansonsten lief diese Debatte ja so typisch: Ablehnung ohne Kenntnis des Schulkonzepts und andererseits trunkene Begeisterung von Leuten, die gleich ein Fremdsprachenverbotsgesetz haben wollen.

Was finden Sie denn?

In Berlin hat sich das als gute Idee entpuppt. Eine Schule nimmt Verantwortung für sich selber wahr. Der Deutschunterricht wird erweitert und in den Pausen wird Deutsch gesprochen. Die Schüler wollten das selbst. Bei so einer Schule mit vielen Nationalitäten ist diese Idee ein Rettungsanker, um überhaupt eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

In der Grünen-Hochburg Berlin-Kreuzberg fahren viele Eltern ihre Kinder jeden Morgen in andere Stadtteile, weil ihnen zu viele Ausländer in den Schulen sind. Erwarten diese Menschen, dass die Grünen Integration deutlicher verlangen?

Das ist keine Frage der Grünen-Klientel. Es ist doch für alle Eltern ein Stich ins Herz, wenn sie wissen: Mein Kind könnte sich entwickeln, aber da passiert nichts, weil schon die gemeinsame Unterrichtssprache fehlt. Hier muss die Schule ein problemgerechtes Angebot schaffen – für ausländische Kinder und genauso für deutsche Kinder, die zu wenig Deutsch können. Wir fordern Reformen von den Schulen, aber wir knüpfen auch Erwartungen an die Einwanderer.

Wurde denn beim beim Muslim-Test auch alarmistisch reagiert?

Die Ablehnung des Tests ist richtig, weil schon das Abzielen auf Muslime ein Problem ist. Das steckt die Leute in Schubladen. Natürlich muss Einwanderern klar gesagt werden: Hier gelten Grundwerte und Grundrechte, die einzuhalten sind. Aber das kann man auch tun, ohne zu diskriminieren.

Für eine Grüne hören Sie sich ziemlich fordernd an. Ist das der neue Ton Ihrer Integrationspolitik?

Wir haben immer gesagt: Man muss Deutschkurse anbieten, weil die Fähigkeit, Deutsch zu sprechen, viele Folgeprobleme löst. Aber wir haben über die Jahre deutlicher gemacht, dass das nicht nur ein Angebot ist. Sondern dass wir das von den Migranten auch erwarten.

Wollen Sie mit solchen Forderungen vermeiden, dass Ihnen die CDU eine gutgläubige Multikulti-Haltung vorwirft?

Der Vorwurf ist beliebt, aber er stimmt nicht. Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. Unsere Kritik gilt jahrzehntelanger deutscher Politik. Man muss die Situation so organisieren, dass die Menschen sich integrieren können. Es muss Sprachkurse für Erwachsene geben, im Kindergarten muss Deutschunterricht stattfinden. Und die Einwanderer müssen mitmachen.

Was ist denn Ihr Integrationskonzept, das über Einzelmaßnahmen hinausgeht?

Integrationspolitik darf nicht nur Sache der Innenminister sein. Viel wichtiger sind Bildung, politische Teilhabe, die Arbeitsmarktpolitik und die rechtliche Gleichstellung des Islam.

Sie wollen, dass muslimische Gemeinschaften den begehrten öffentlich-rechtlichen Status bekommen wie Kirchen, somit auch Steuern erheben können und andere rechtliche Privilegien genießen?

Ich denke vor allem an die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Die Religion des Islam darf juristisch nicht anders behandelt werden als die katholische und evangelische Kirche oder die jüdischen Gemeinden. Die Tatsache, dass man den Islam im Bildungs- und Schulbereich mit spitzen Fingern angefasst hat und ihn in die Koranschulen schob, hat eine falsche Entwicklung unterstützt.

Sie haben von politischer Teilhabe gesprochen. Wollen Sie das Wahlrecht für Ausländer in Deutschland einführen?

Einer der Kernpunkte ist tatsächlich das kommunale Wahlrecht. Wer hier lange lebt, soll auch Verantwortung übernehmen können. Wir müssen zu einer jungen Türkin sagen können: Wir haben dich beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt, wir haben dich ausgebildet, jetzt kannst du auch Verantwortung im Stadtrat oder im Kreistag übernehmen.