: Zwischen Promis und Haustieren
VERÄNDERUNG Der Katzenberger-Sender Vox mausert sich zum Dokumentationskanal – und das sogar zur Primetime. Diesen Samstag zeigt er um 20.15 Uhr vier Stunden „Stayin’ Alive – 50 Jahre Bee Gees“
VON JAN FREITAG
Die Geigen ertönen, der Kommentarton dröhnt, es regnet Promis – wenn heutzutage Sachfernsehen läuft, donnert gemeinhin das Pathos. „Barry, Robin und Maurice.“ Pause. „Das erfolgreichste Trio der Musikgeschichte.“ Pause. „Doch der Preis dafür.“ Pause. „War hoch.“ So klingt es in „Stayin’ Alive – 50 Jahre Bee Gees“. Pausenlos wird da aus dem Off gedräut, geheult, geraunt und gerumpelt. „Traurig, wie viel Leid eine Familie erdulden muss“, darf das Girlgroupgirlie Sandy kompetenzfrei ins Bild hauchen. „Eine wilde Achterbahnfahrt“, fügt ein Dschungelcampgewächs namens Jay Khan hinzu. Es ist der Sound des Dokumentarfilms heute, also kaum einer Erwähnung wert – liefe er nicht bei Vox.
Denn ausgerechnet beim Hauskanal von Katzenberger und Teenie-Müttern haben Reportagen in epischer Länge zur besten Sendezeit eine Heimstatt gefunden, die selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kaum noch zu finden ist. Ob Beerdigungs- oder Schönheitskultur, Norm- oder Transsexualität, Jackos Tod oder der der DDR, und 200 Jahre Oktoberfest – während die gebührenfinanzierte Konkurrenz zum Musikantenstadl bittet und die Privatsender wie üblich nach Hollywood einladen, kontert Vox auch am Samstag um 20.15 Uhr mit einem vierstündigen Dokumarathon.
Seit fünf Jahren zeigt der Sender solche Primetimeschwerpunkte, im Schnitt alle zwei Wochen, gelegentlich zwölf Stunden lang wie zum Jahrestag von Hitlers Suizid, produziert meist von Alexander Kluges Infofabrik dctp oder im Fall „Stayin’ Alive“ von der Kölner Maxi Media, exklusiv für Vox. Da ist bei einem Anbieter, der als einziges Vollprogramm zwischen 12 und 24 Uhr nachrichtenfrei ist, doch ein Sonderlob zum Sendergeburtstag wert.
Denn vor 20 Jahren ging Vox als Mittelweg zwischen privater Verflachung und staatlichem Trott auf Sendung. Mit viel Nachrichten-Liveberichterstattung wollte man den Öffentlich-Rechtlichen auf dem Informationssektor Konkurrenz machen. Es war ein Experiment, ein Wagnis im aufkeimenden Ballermann-TV. Es ging schief. Nur Monate später krempelte der selbsternannte „Ereignissender“ sein Angebot im Quotentief um. Aufgekauft von Rupert Murdoch, kam Vox im Jahr darauf zurück in die Erfolgsspur, erst recht, als RTL den Laden 1999 übernahm. Das lag indes weniger an Perlen wie der Serie „Six Feet Under“ als an Promikoch Tim Mälzer und dem „Haustiermagazin hundkatzemaus“. Dass Vox beim jungen Publikum nun vor ARD und ZDF liegt, geschah also eher trotz der Sachoffensive am Samstag.
Denn die hebt höchstens mal beim Thema Sex („Beruf: Hure“) die Durchschnittsquote. Oder bei Hitler, der bekanntlich immer geht. Wie derlei Schwerpunkte insgesamt, wenngleich nur bei bestimmten Sendern, zumeist öffentlich-rechtlichen. Arte zum Beispiel zeigt seit gut 20 Jahren Themenabende zu allem. 3sat erweitert das zuweilen auf ganze Tage. Die ARD widmet sich seit 2006 einmal pro Jahr einer Themenwoche und versucht ansonsten wie das ZDF, mithilfe von Dokus im Anschluss an Spielfilme dem Publikum noch etwas Hintergrundwissen mit ins Bett zu geben.
Die privaten Platzhirsche RTL und Sat.1 lassen ihre Eigenproduktionen hingegen nur noch gelegentlich dokumentarisch ausklingen – und vier Stunden Doku zur Primetime, das traut sich außer Vox sowieso keiner der relevanten Privatsender. Auch wenn sich über die Güte bisweilen streiten lässt. Das dramatische Effektgewitter von „Stayin’ Alive“ zum Beispiel geht trotz bislang ungezeigter Schwarzweißbilder der jungen Bee Gees und exklusiver O-Töne der Alten bisweilen gehörig an die Substanz. Das erträgt jedoch deutlich leichter, wer sich eine dritte Exklusivität vor Augen hält: Vier Stunden Sound am Stück gibt es ja sonst nicht mal beim kostenpflichtigen MTV, während ARD und ZDF nicht eine einzige Popsendung mehr im Angebot haben.
Da mausert sich Vox samstags zum neuen Viva. Nach „40 Jahre Abba“ und „25 Jahre Bad“ (über Michael Jackson) im Vorjahr soll „Stayin’ Alive“ nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu einer regelmäßigen Musik-Doku sein. Dass man ihr manchmal den Ton abdrehen möchte, steht auf einem anderen Blatt.