: Ein radikaler Schnitt
Schon als Kind kannte die 1961 in Paris Geborene ihren Berufswunsch: „Kamerafrau“. Mit 15 Jahren macht sie das erste Praktikum. Mit 23 dreht sie für Eric Rohmer. Mit 26 für Jean-Luc Godard. Was kann danach noch kommen? Maintigneux macht einen radikalen Schritt: Sie geht 1988 nach Berlin. Deutschland ist aus französischer Sicht kein Filmland. Maintigneux bleibt trotzdem. Sie dreht Spiel-, aber auch Dokumentarfilme. „Dokumentarfilme sind oft mutiger. Sie erzählen, wie es in der Welt wirklich zugeht.“ Maintigneux lehrt an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Auf der Berlinale läuft der Film „Am Rande der Städte“ über alte türkische Migranten von Aysun Bademsoy, in dem sie Kamera machte
VON WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Maintigneux, Sie sagten einmal, es sei etwas Wunderbares, Licht zu manipulieren. Was meinten Sie da?
Sophie Maintigneux: Kameraleute haben mit vielen Mitteln zu tun. Eins davon ist das Licht. Wir haben natürliches Licht, oder wir haben Scheinwerfer. Es hängt vom Film ab, aber normalerweise müssen wir so tun, als würden die Lampen natürliches Licht werfen. Was künstlich gemacht ist, soll natürlich wirken.
Geben Sie als Kamerafrau dem Film demnach mit Licht seine Farbe?
Mehr oder weniger. Es ist abhängig vom Stil des Films und natürlich vom Drehbuch. Unsere erste Quelle oder Inspiration kommt von dort. Die Regie hat eine Vision, schreibt sie auf, wir müssen sie in Bilder übersetzen. Das ist manchmal schwierig. Wie bei jeder Übersetzung gibt es Missverständnisse. Wörter können für verschiedene Leute Verschiedenes bedeuten. Nehmen wir das Wort „rot“. Was ist rot? Da gibt es tausend Möglichkeiten, ein Rot zu definieren.
Als Erstes müssen Sie also eine gemeinsame Sprache finden?
Ja, und danach setzen wir die Vision in Bildern um. Kamera im Film ist ein komplexer Prozess, der eine künstlerische und eine technische Richtung hat. Künstlerisch hat es mit Sensibilität, Kultur, Imagination zu tun. Und technisch mit der Kamera selbst, mit Farbtemperaturen, Filtern, dem Filmmaterial, dem Kopierwerk und anderem. Wir müssen entscheiden, welche Komponenten wir nehmen: 35-mm-Kamera, 16 mm oder digital? Schwarz-Weiß oder Farbe? Kaltes Licht oder warmes? Am Ende ist es eine Frage der Interpretation.
Mit 23 Jahren waren Sie Kamerafrau bei Eric Rohmer im Film „Das grüne Leuchten“. Dafür gab es 1986 in Venedig einen Goldenen Löwen. 1987 haben Sie Kamera gemacht im Film „King Lear“ unter Jean-Luc Godard. Die Namen der Regisseure klingen, als könnte es gut der Höhepunkt im Leben einer Kamerafrau gewesen sein.
Es ist ein großes Glück, am Anfang einer Karriere mit so wichtigen Regisseuren zu arbeiten. Viele Leute haben sich gefragt, wer dieses Mädchen da hinter der Kamera ist. So jung und dazu eine Frau. Wer Kamera macht, hat eine große Verantwortung. Das war natürlich nicht einfach für mich.
War es selbstverständlich für Rohmer und Godard, eine Kamerafrau zu wählen?
Ich glaube nicht. Alles hat angefangen, weil Rohmer ein sehr kleines Frauenteam für seinen Film suchte, da er eine Spielfilmhandlung wie ein Dokumentarfilm machen wollte. Im Film folgen wir Marie Rivière, der Schauspielerin. Wir waren zu dritt. Eine Frau für den Ton, eine für die Organisation und ich an der Kamera. Damals gab es sehr wenig Kamerafrauen. Im Grunde hatte er kaum eine Wahl.
Ach, Sie glauben, dass Sie deshalb dahin gekommen sind?
Natürlich. Es war Glücksache. Diese Art Film zu machen, war damals sehr mutig.
Ende der 80er-Jahre verlassen Sie Frankreich und ziehen nach Berlin. Ein radikaler Schnitt. Warum?
Weil ich in eine andere Stadt gehen wollte. 1985 war ich zum ersten Mal in Berlin und ich habe mich in diese Stadt mit ihrer starken Geschichte verliebt. Als Michael Klier mich 1988 anrief und fragte, ob ich bei ihm Kamera machen will, hab ich sofort zugesagt. Ich konnte kein Wort Deutsch. Für mich war das wie in die Fremde gehen.
Berlin war tatsächlich eine fremde Welt für Sie?
Sehr. Aber die Stadt war vor dem Mauerfall auch für viele Westdeutsche eine fremde Welt. Mitte der 80er-Jahre war Berlin sehr lebendig und provokant. Diese Provokation hat mich interessiert. Interessiert mich bis heute. Ich will in keiner anderen Stadt leben.
Seit Sie Berlinerin sind, haben Sie vorwiegend für deutsche Regisseure und Regisseurinnen gearbeitet. Muss man für diese anders Kamera machen als für französische Filmemacher?
Ich bin von der französischen Kultur beeinflusst, obwohl mich Fassbinders Filme sehr beeindruckt haben als Teenager. Dass die deutschen Regisseure mit mir arbeiten wollten, hat aber dennoch damit zu tun, dass sie jemanden suchten mit einem anderen Blick. Vielleicht auch mit einem neugierigen Blick. Wer in einem anderen Land leben will, muss neugierig sein.
Und wie ist der andere Blick?
In Frankreich gehört Kino zur Kultur und Kulturerziehung. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Hier stehen Musik und Oper ganz oben. Hier gehört Kino zur Populärkultur und ist selten Teil des kulturellen Gedächtnisses. Mich dagegen haben Kino und die Macht der Bilder auch kulturell geprägt.
Sie sind eine preisgekrönte Kamerafrau. Ist es leicht, sich als Frau ein Standing in diesem Metier zu erwerben?
Nein. Bei Regie ist es ein bisschen besser als bei Kamera. In Deutschland macht bei etwa 25 Prozent der Filme eine Frau Regie. In etwa 10 Prozent der Filme macht eine Frau Kamera. Dass es so wenige sind, hat mit althergebrachten Geschlechtervorurteilen zu tun: Eine Frau kann kein Team leiten. Eine Frau kann körperlich nicht gut mit der Kamera umgehen. Eine Frau ist nicht schnell genug, weil sie mehr nachdenkt als ein Mann. Junge Frauen, die Kamera machen, müssen sich durchboxen.
Können Sie erkennen, ob eine Frau Kamera bei einem Film gemacht hat oder ob es ein Mann war?
Nein.
Wie ist es bei erotischen Szenen?
Ich glaube nicht an den weiblichen Blick. Es gibt wunderschöne, respektvolle, sinnliche Szenen, die von Kameramännern gemacht wurden. Als Menschen hinter der Kamera haben wir Verantwortung dafür, wie die Frauen vor der Kamera präsentiert werden. Mit Respekt oder ohne. Ich sehe allerdings zu oft noch Kollegen, die sich nicht darum scheren, ob ihre Art der Kameraführung die Frau vor der Kamera degradiert.
Aus Ihrer Sicht ist das also keine Frage der Ästhetik, sondern der Verantwortung.
Klar. Es geht darum, wie mit Sexualität, mit Machismo, mit Opfern und Tätern umgegangen wird. Das ist viel mehr ein inhaltlich-moralisches als ästhetisches Problem.
Trotzdem treibt Sie das Geschlechterthema im Filmbusiness um. Sie sind im Verband der Filmarbeiterinnen organisiert. Warum?
Wenn wir einen Film machen, präsentieren wir ein Weltbild, ein Bild unserer Gesellschaft, unserer Art und Weise, zu leben, zu denken, Klischees zu akzeptieren. Manchmal bin ich total schockiert, dass Frauen im Film, aber besonders im Fernsehen, immer noch als passive Objekte gezeigt werden, die eben dabei sein müssen, weil sie existieren, aber sonst haben sie keine Präsenz. Das nervt mich. Deshalb bin ich im Verband. Aber ich bin auch drin, weil es immer noch Vorurteile gegen Frauen in diesem Metier gibt. Auf der ganzen diesjährigen Berlinale ist nur ein einziger deutschsprachiger Spielfilm dabei, in dem eine Frau Kamera gemacht hat. Das ist nix.
Der Verband vergibt auf der diesjährigen Berlinale zum zehnten Mal den mit 3.000 Euro dotierten Femina-Film-Preis. Damit werden hervorragende Leistungen einer Technikerin ausgezeichnet – sei es Kamera, Schnitt, Ausstattung, Kostüm oder Musik in einem Spielfilm. Das Geld bringen die Filmarbeiterinnen selbst auf. Wird diese Art der Frauensolidarität noch ernst genommen?
Was soll ich antworten? Frauenbewegung und Feminismus sind aus der Mode, sind nicht gut angesehen. Trotzdem gibt es in vielen Berufen immer noch keine gleichen Löhne für Männer und Frauen. Trotzdem wird immer noch geglaubt, dass es weniger Arbeitslosigkeit gäbe, wenn Frauen zu Hause blieben. Trotzdem gibt es immer noch viele Branchen, wo es keine Parität gibt. Deshalb wird der Verband von mir jedenfalls sehr ernst genommen.
Hat sich für die Frauen im Filmbusiness in den letzten Jahren nichts geändert?
Schauen Sie, wie die Situation hier an der Film- und Fernsehakademie, wo ich unterrichte, ist: Die Hälfte der Studierenden im Fach Regie sind Frauen. Im Fach Kamera sind es etwa ein Drittel. Wo aber sind die Frauen danach?
Sie meinen, wo sind 25 Prozent der Regieabsolventinnen geblieben, wenn in Deutschland heute noch immer nur 25 Prozent der Filme von Frauen gemacht sind?
Ja. Diese verschwinden bestimmt nicht einfach so. Es gibt natürlich Gründe. Der Kinderwunsch ist hierzulande eine riesige Gefahr für die Karriere einer Frau. Wer in unserem Business dem Markt zwei, drei Jahre nicht zur Verfügung steht, ist draußen. Aber es gibt noch andere Probleme: Frauen, die Filme machen, müssen in der Regel mit weniger Geld auskommen als Männer. Das ist statistisch zu belegen. Die Filme sind am Ende nicht schlechter, aber sie haben weniger Chancen, ein Publikum zu finden. Das Geld wird ja nicht nur gebraucht, um den Film zu produzieren, sondern auch, um ihn auf dem Markt zu lancieren. Wenn jemand aber einen langen Spielfilm gemacht hat, der auf dem Markt kein Erfolg war, ist es extrem schwierig, einen zweiten zu machen.
Können Sie das mit Statistiken belegen?
Etwa 20 Prozent der deutschen Filmförderung geht an Frauen. Wenn Frauen aber ungefähr 25 Prozent der Filme, die in einem Jahr rauskommen, machen, bedeutet das, dass sie weniger Geld als Männer erhalten. Bei ungefähr 105 Millionen Euro Filmförderung in Deutschland im Jahr sprechen wir also von 5 Millionen, die den Frauen zugunsten der Männer vorenthalten werden. Daran erkenne ich, dass man in Frauen weniger Vertrauen hat und dass sie um ihren Erfolg mehr kämpfen müssen.
Im Wettbewerbsprogramm der letztjährigen Berlinale war kein Film von Frauen. Wie ist das zu bewerten?
Die Berlinale spiegelt – wie jedes andere A-Festival – vermutlich nur die Situation in der Produktion. Dieses Jahr sind 3 Filme von Frauen neben 23 Filmen von Männern im Wettbewerb. 2005 war es keine, 2004 waren es 3, 2003 war auch keine dabei. Es hat immer mit Geld zu tun. Um ein Niveau zu erreichen, damit man mit einem Film in solche Wettbewerbe kommt, müssen sie in der Regel ausreichend finanziert sein.
Je mehr Geld, desto besser ist der Film – ist es das, was Sie sagen?
Nicht was den Inhalt angeht, wohl aber von der technischen und künstlerischen Umsetzung her. Hier in Deutschland werden Autorenfilme mit weniger als 1 Million Euro gemacht. Ich sage Ihnen, das ist absurd wenig. Es hat eben damit zu tun, dass Kino nicht als Teil der Kultur verstanden wird, der die deutsche Gesellschaft repräsentiert.