: Gute Mode wird vergessen
NACHHALTIG Zu Beginn der „Deutschen Aktionswoche Nachhaltigkeit“ öffnet die Modemacherin Karin Jordan ihr Atelier in der Weiberwirtschaft und erklärt das Konzept „In Kleidung wohnen“
VON BRIGITTE WERNEBURG
Der wohl kürzeste Arbeitstag im Textilzentrum Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch, endete am Morgen des 24. April um 8.45 Uhr mit mehr als 1.100 Toten und fast 2.500 Verletzten. Da stürzte das achtstöckige Gebäude ein und begrub Tausende Textilarbeiterinnen unter sich. Seitdem steht nicht nur eine ausbeuterisch agierende Textilbranche am Pranger, auch die Konsumenten denken daran, höhere Preise für höhere Löhne und bessere Qualität der Arbeitsbedingungen zu bezahlen. Doch leider wird der Preis für ein Kleidungsstück – ob in Bangladesch produziert oder in Berlin – letztlich sehr viel stärker von ganz anderen Faktoren wie Vertrieb, Marketing, Verwaltung oder Lagerkosten bestimmt.
Am Ende hilft nur, sich die Sache selbst anzuschauen. Am Samstag, den 15. Juni, gibt es dazu Gelegenheit. An diesem Tag öffnet die Modedesignerin Karin Jordan ihr Atelier, die in diesem Jahr mit dem Qualitätssiegel „Werkstatt N“ vom Rat für Nachhaltige Entwicklung ausgezeichnet wurde.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung, dem 15 Personen des öffentlichen Lebens angehören, wurde 2001 von der Bundesregierung berufen, um Konzepte für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, konkrete Handlungsfelder und Projekte zu benennen und Nachhaltigkeit zum öffentlichen Anliegen zu machen.
Eine seiner Strategien ist die vom 15. bis zum 21. Juni ausgerufene bundesweite „Deutsche Aktionswoche Nachhaltigkeit“. In deren Rahmen lädt nun Karin Jordan ein, in ihrem Atelier den Entwicklungs- und Produktionsprozess ihres Modekonzepts nachzuvollziehen und anhand konkreter Beispiele zu erfahren, wie komplex sich nachhaltiges Arbeiten in der Praxis darstellt.
Was die Besucher auch ohne Erläuterung bemerken werden, sind wahnsinnig schöne Kleidungsstücke wie ein Jackett, dessen seitliche Kellerfalten im Rücken, die herrliche Bewegungsfreiheit geben, aus der Männermode der 1930er Jahre stammen. Oder eine gerade fallende Hose, deren Hüftpartie so raffiniert geschnitten ist, dass frau in jedem Fall eine ausgezeichnete Figur macht. Darüber hinaus ist eine exquisite Farbpalette zu sehen, gerne in gedeckten Tönen, zwischendurch aber auch mit einem leuchtenden Blau oder einem kräftigen, fröhlichen Rot. Und zu fühlen sind wunderbare Stoffe, ob in schwerer oder superleichter Qualität. Solche zertifizierten Stoffe zu finden, war die erste Herausforderung, mit der sich die Modedesignerin konfrontiert sah, als sie sich 1994 selbstständig machte.
„Als ich damals nach Stoffen für 30 bis 50 Euro per Meter nachfragte, lachten sich die Händler auf den Messen scheckig.“ Denn mehr als 4 Euro durfte der Meter für die Kunden nicht kosten. Erst peu à peu hat sich ein Markt entwickelt. Kleine Webereien in Deutschland und Frankreich achten nicht nur auf die Qualität ihres Grundmaterials, etwa dass die Farben kein Gift enthalten, sondern auch auf kurze Transportwege. „Inzwischen mögen uns die Agenturen, weil sie dann auch mal über Qualität reden dürfen“, sagt Karin Jordan.
Trotzdem bleiben Kompromisse nicht aus. „Das geht bis hin zu den Nähmaterialien. Der Nachhaltigkeitsgedanke berührt auch soziale Aspekte. Deshalb produziere ich hier. Meine Mitarbeiterinnen sind ausgebildete Fachkräfte, die entsprechend entlohnt werden.“ Gerade Letzteres kommt Karin Jordan gelegen: „Ich bin sehr am Prozess interessiert. Ich finde das Ziel schön, aber der Entstehungsprozess ist für mich wertvoller. Ich liebe es, im Team zu arbeiten, mit der gegenseitigen Anregung. Und sehr kostbar sind mir auch die Stimmen der Kundinnen.“
Es geht Karin Jordan um „Kleider zum Wohnen“. Um eine klare, unaufgeregte Kollektion, die saisonale Brüche und modische Trends vermeidet und die sich stattdessen mit sich ständig ergänzenden und erweiternden Entwürfen ganz bewusst einer Wegwerfmentalität entgegenstellt. „Ich möchte“, sagt sie im Hinblick auf ihr Kleiderkonzept, „dass ich zuerst die Frau sehe und nicht sage: Ah, die mit dem tollen Kleid. Sondern: Mann, sah die Frau toll aus.“ Karin Jordan ist es wichtig, dass wir unsere Kleidung vergessen können. „Letztlich habe ich mir durch die Art, wie ich arbeite, die Genehmigung gegeben, überhaupt noch auf diesem Gebiet zu arbeiten.“
Von allem viel zu viel
Karin Jordan stammt aus Leipzig. Sie studierte an der Kunsthochschule Weißensee, als sie in die Wende geriet: „Ich muss gestehen, ich hatte eine richtige Sinnkrise. Nicht weil das System weg war. Sondern weil ich von einer Mangel- direkt in eine Überflussgesellschaft kam. Meine Motivation, Designerin zu werden, lag in der Herausforderung der Mangelwirtschaft. Und dann finde ich mich in einer Situation wieder, in der ich denke: Das ist aber krass! Warum soll ich jetzt auch noch mein Mäntelchen produzieren, wo es von allem viel zu viel gibt?“
Sie arbeitete dann eine Zeit lang als Kostümbildnerin, bis ihr bewusst wurde, dass es eben doch nicht von allem zu viel gibt. Etwa von einer durchdachten Modeproduktion. Mit ihr etablierte sie sich zunächst in den Hackeschen Höfen, bis sie 2010 Mieterin und damit auch Genossenschafterin der Weiberwirtschaft wurde. Damit gehorchen selbst ihre Räumlichkeiten den Kriterien der Nachhaltigkeit. Denn das größte Gründerinnenzentrum Europas wurde 2004 für die Sanierung des Gebäudekomplexes in der Anklamer Straße 38–40 für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet.
Dass Karin Jordan mit ihrem radikalen Konzept erfolgreich am Markt besteht, kann gar nicht genug gewürdigt werden. Sie hat recht, wenn sie sagt: „Wir schauen mit Entsetzen nach Bangladesch. Aber schon in Berlin ist so viel Selbstausbeutung im Spiel. Da wird ohne Sozialversicherung genäht, auf Stücklohn, zu Hause an der Haushaltsnähmaschine. Das ist erschütternd, wenn man das mitbekommt.“
■ Atelier Karin Jordan, Anklamer Straße 38, Hof 1, EG; Tag der offenen Tür, 15. Juni, 10–18 Uhr, 14 Uhr Führung; www.karinjordan.de