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Archiv-Artikel

Die Penetranz eines Gutmenschen

Passend zum beginnenden Mozart-Jahr 2006: Die Oper „La clemenza di Tito“ als Neuinszenierung von Christof Nel an der Deutschen Oper in Düsseldorf

AUS DÜSSELDORFFRIEDER REININGHAUS

Mozart schrieb „La clemenza di Tito“ im Auftrag der böhmischen Stände, die mit dieser Oper dem Kaiser Leopold II. huldigten. Die vorgegebene literarische Vorlage von Metastasio war bereits ein halbes Jahrhundert alt, wurde vom Dresdner Hofdichter Mazzolà in aller Eile modernisiert. So war diese Oper von Anfang an ein Werk der Übertragung: Dieser „Fürstenspiegel“ führte Tugenden eines aufgeklärten Monarchen vor Augen. In der Tradition einer beschönigenden Geschichtsschreibung verhandelte das dramma serio per musica die Biographie des römischen Kaisers Titus Flavius Vespasian, der sich besondere Verdienste durch die Zerstörung Jerusalems und das Massaker an den Juden erworben hatte.

Hat er Kreide gefressen?

„Titus“ wirkt nach „Don Giovanni“ und „Così fan tutte“, als hätte sich der Komponist erhebliche Selbstbeschränkungen auferlegt. Das Werk zeichnet sich weithin durch Simplizität der Melodien aus und bescheidene Instrumentierung (nur zwei von der Bassettklarinette ausgeschmückte Arien ragen heraus). Traditionell wurde die schlichte Bauart damit erklärt, dass der Komponist eben rasch ein Auftragswerk abgeliefert habe. Tatsächlich bestand ein finanzieller Engpass und es war Eile geboten, weshalb die Komposition der Rezitative dem Adlatus Süßmayr überlassen wurde.

Freilich nahm Mozart die Fest- und Huldigungsmusik durchaus ernst. Er dehnte sie gewaltig in die Länge. In der von Andreas Stoehr geleiteten Aufführung an der Deutschen Oper in Düsseldorf dauert sie dreieinhalb Stunden. Man tut dem ambitionierten Meister Unrecht, wenn man die Ernsthaftigkeit seiner – vielleicht von der Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge beförderten – „neuen Einfachheit“ am Ende seines Lebens in Abrede stellt. Sie war gewollt. Und in ihr dürfte sogar das lang anhaltende Erfolgsrezept der „Clemenza di Tito“ gelegen haben.

Untertanen enttäuscht

In diesem Stück geht es vordergründig um nichts anderes als erotische Kabalen im Umfeld des römischen Imperators: Ein Mordanschlag krönt die Machenschaften von Vitellia und Sextus. In blindem Eifer wird allerdings der Falsche erdolcht. Obwohl das Kapitol einer schweren Brandstiftung zum Opfer fällt, praktiziert Titus bis an die Grenze der Selbstverleugnung und Klebrigkeit Güte und Nachsicht. Die Uraufführung anlässlich der Krönung des Großherzogs der Toskana und deutschen Kaisers zum König von Böhmen transportierte 1791 die Erwartung jener Untertanen, die auf Fortsetzung der Reformen Josephs II. hofften. Leopold II. und sein Nachfolger Franz vergaßen die Mahnung zu Milde und Verständnis gegenüber Freund und Feind allerdings rasch. Sie beteiligten das Habsburger Reich an der militärischen Intervention gegen die Republik Frankreich und ließen im Inneren des Reichs den vom Westwind genährten „Aufruhr“ mit aller Härte unterdrücken.

Obwohl den Deutschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Kaiser erst einmal abhanden kam, hielten sie dieser Mozart-Oper die Treue – wie bei der musikalisch in mancherlei Hinsicht eng verwandten „Zauberflöte“ wurden „die strenge Einfachheit und stille Erhabenheit“ gerühmt und goutiert. Insbesondere wurden zu Regierungsjubiläen und Inthronisationen verschiedener Fürsten aktualisierte Fassungen des Textes in Umlauf gebracht. In demokratischen Zeiten greifen die Theater wieder auf die originale Version zurück und präsentierten ein von musikalischer Milde und Schönheit unterfüttertes Dokument aus einem verblichenen kulturgeschichtlichen Kontext. Denn dass dieses Lehrstück zum Beispiel zur politischen Motivation einer Kanzlerin taugt, ist nicht anzunehmen. Im Falle eines Staatsstreichs würden aufgeklärte Bürger heute eher beherztes Durchgreifen erwarten als willkürliche Nachgiebigkeit.

Regietheater-Standard

Christof Nel übertrug, mit Hilfe einer entfernt an neuerer Staatskanzleiarchitektur orientierten Architektur von Roland Aeschlimann, die dreifach alte Geschichte in ein politisch-gesellschaftliches Niemandsland. In ihm bewegt sich die gelegentlich stimmlich überforderte Nataliya Kovalova als ehrgeizig-zickige Vitellia in Mode von heute. Man versteht kaum, warum sie nicht per Handy das zu früh gegebene Signal zum Aufstand widerruft. Je tiefer sie sich in die Intrige verstrickt, desto mehr löst sich ihre Hochfrisur auf. Zugleich mehren sich die Toga-Träger auf der Bühne, vermummen sich schließlich und bewaffnen sich mit orientalischen Schwertern. Corby Welch, ein weichlicher Titus in goldenen Schläppchen, erscheint als Erbe, der sich durch eine Kapriole der Geschichte auf den Thron verirrt hat. Er kapriziert sich am Ende aufs Theaterspielen und stellt sich auf goldene Kothurne, womit auch etwas Distanz zum hochtrabenden Reden hergestellt wird.

Präzise hat Nel die Begehrlichkeiten und das Zaudern der Protagonisten und die Spannungsverhältnisse zwischen ihnen in Bewegungen umsetzen lassen. Freilich rächt es sich, wenn ein Regisseur offensichtlich nur das Individuelle in psychologisierter Form aus einem Stück herausschält, in dem es von historischen Beschönigungen nur so wimmelt. Über die milde Ironisierung der Titus-Figur hinaus böte gerade dieses Werk Anlass zum Rückblick auf politische Verwerfungen. Wenn es nur am Mut und der Befähigung der Theatermacher dazu nicht fehlte.

14. Februar, 19:30 UhrOpernhaus DüsseldorfInfos: 0211-8925211