: Ist Edward Snowden ein Vorbild?
ZIVILCOURAGE Weitreichend hat der Abhördienst NSA Internet und Telefone überwacht. Es ist der bislang größte Geheimdienstskandal in den USA, enthüllt von einem Exmitarbeiter: Edward Snowden. Die taz hat vier deutsche Whistleblower um ihre Meinung gebeten
Informanten sind einfach nur lästig
Andrea Fuchs war von 1994 bis 1997 Wertpapierhändlerin bei der ehemaligen DG Bank. Als sie von einem illegalen Insiderhandel erfuhr, meldete sie das nach oben und verlor ihren Job.
In Deutschland gelten Whistleblower als Lügner, Spinner oder Blockwarte. Helden sind sie keine. Sehr wenigen – wenn es zum Beispiel um den Fleischskandal geht – wird zumindest ein wenig Achtung und Anerkennung entgegengebracht. Alle anderen sind einfach nur lästig. Da stellen selbst geschulte Richter in unserem Land keine Ausnahme dar.
Mir ist es z. B. vor dem Frankfurter Arbeitsgericht passiert, dass die Richterin, die meine bis dahin gegen mich ausgesprochenen 15 Kündigungen verhandelte, mir ohne Umschweife erklärte, dass meine Vorgesetzten allein aufgrund ihrer Positionen – als Bereichsleiter und Vorstand einer deutschen Großbank – bereits mehr Glaubwürdigkeit besitzen als ich, die Prokuristin.
Ich weiß aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen mit anderen Whistleblowern, dass sie die langfristigen negativen Folgen für das Berufs- und Privatleben völlig unterschätzen. Sie sind einem permanenten Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck ausgesetzt und haben als Individuen nur begrenzte Ressourcen, dem zu begegnen. Dem stehen die unbegrenzten Mittel der Unternehmen, Institutionen und staatlichen Stellen gegenüber.
Snowden hat meiner Ansicht nach nur konsequent gehandelt.
Die Amerikaner werden es ihm danken
Florian Pfaff verweigerte 2003, damals Major der Bundeswehr, seine indirekte Mitwirkung am Irakkrieg. Seine „Gehorsamsverweigerung“ wurde trotz Freispruch durch das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2005 bis heute von der Bundeswehrführung nicht akzeptiert.
Edward Snowden hat die notwendige Debatte darüber angestoßen, wie weit ein Staat die Rechtsstaatlichkeit und den Datenschutz aufheben darf. Auch wenn er dafür von den US-Behörden verfolgt wird: Zustimmung und Dank einer Mehrheit der Amerikaner sind ihm sicher. Ich denke, die Gefahr, dafür ins Gefängnis zu wandern, hat er kalkuliert. Deswegen hat er meinen Respekt. Ich vermute, es hat ihn mehr Überwindung gekostet als mich mein Eintreten gegen unmandatierte Kriege.
Demokratie lebt von Leuten, die die Notbremse ziehen, bevor allzu schwerer Schaden entsteht. An die Öffentlichkeit zu treten, ist die einzige Möglichkeit. Wir reden hier ja von sehr mächtigen Leuten. Die Hoffnung, dass die von allein nachzudenken beginnen, hat jeder Whistleblower aufgegeben. Da bleiben nur der Gang vor Gericht und die Einschaltung der Medien.
Meine Gewissensentscheidung hat mir zehn unangenehme Jahre eingebracht. Erst wurde ich in die Psychiatrie gesteckt, dann übernahm der Staatsanwalt. Bis heute ignoriert die Bundeswehr alle Urteile, die meine Beförderungssperre untersagten. In einem Buch schildere ich, dass sie bundeswehrintern als Fehlurteile angesehen werden. Dagegen kämpfe ich bis heute.
Ob Edward Snowden dem Staat am Ende geschadet oder ihm genützt hat, ist meines Erachtens der entscheidende Punkt. Auch in meinem Fall. Fast alle, die von meiner Geschichte erfahren, können sie kaum glauben. Ich wünschte aber, in den großen Medien würde mehr darüber berichtet. Bei Snowden ist das zum Glück der Fall.
Ein Hauch von Rebellion und Anarchie
Jürgen Rose ist ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr. 2007 ließ er sich aus Gewissensgründen von seinen Aufgaben im Afghanistankonflikt entbinden. In den Medien wurde er „Tornado-Verweigerer“ genannt. Er ist heute als Publizist tätig.
Nicht zuletzt die Fälle von Julian Assange und Bradley Manning illustrieren, mit welcher Gnadenlosigkeit Geheimdienste und Militär zuschlagen, um zu verhindern, dass die dunklen Seiten der Macht ausgeleuchtet werden. In den USA werden fundamentale Menschen- und Bürgerrechte immer weiter ausgehöhlt, seitdem George W. Bush den menschenmörderischen „War on Terror“ ausgerufen hat.
In Anbetracht dessen leistet Edward Snowden einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung. Ich kann auch verstehen, warum er seine Identität offengelegt hat. Das erhöht auf jeden Fall seine Authentizität und Glaubwürdigkeit. Außerdem bietet gerade im Geheimdienstmilieu die Aufrechterhaltung von Anonymität nur einen vermeintlichen Schutz, da Geheimdienste ja nicht nur geheime Informationen beschaffen, sondern auch den Geheimnisverrat verhindern sollen. Steht ein „Verräter“ im Rampenlicht der Öffentlichkeit, ist er mitunter besser geschützt als hinter der Fassade der Anonymität.
Whistleblowing haftet qua Natur der Sache immer auch ein Hauch von Rebellion und Anarchie an. Mir scheint es typisch deutsch zu sein, das auch noch verrechtlichen zu wollen. Ich halte die existierenden Möglichkeiten, gleich ob klassisch mittels persönlicher Kontaktaufnahme mit investigativen Journalisten oder ob mittels Nutzung von Plattformen wie Wikileaks, bis dato für ausreichend. Essenziell ist aber, dass das Recht von Journalisten (aber auch von Ärzten, Geistlichen oder Rechtsanwälten) auf Schutz ihrer Informanten strikt gewahrt bleibt!
Interne Hinweise sind oft erfolglos
Guido Strack war von 1995 bis 2005 Beamter bei der EU-Kommission in Luxemburg. Dort machte er das Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) auf Unregelmäßigkeiten in seiner Dienststelle aufmerksam. Er wird wenig später mit 40 Jahren frühpensioniert. Bis heute kämpft er um Rehabilitierung.
Edward Snowdens Anteil an der öffentlichen Debatte über die Grenzen des Überwachungsstaats ist nicht sein einziges Verdienst. Sein Auftreten mit offenem Visier setzt hoffentlich eine Diskussion darüber in Gang, wie wichtig Whistleblower für eine freiheitliche Gesellschaft sind: Sie helfen bei der Kontrolle der Mächtigen.
Studien aus Großbritannien und den USA belegen, dass 90 Prozent aller Whistleblower zuerst intern auf Missstände hinweisen. Die meisten versuchen es auch mehrmals auf verschiedenen internen Ebenen, bevor sie sich an Behörden oder gar an die Medien wenden. Wenn Missstände aber von ganz oben angeordnet oder gedeckt werden, ist der interne Weg von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Das war auch in meinem Fall so. Auch ich habe bei meinem direkten Chef angefangen, und mich dann erfolglos in meiner Behörde und innerhalb der EU-Kommission beschwert. Danach erst suchte ich Kontakt zu anderen EU-Behörden und – als das Gerichtsverfahren gegen mich öffentlich wurde – auch Journalisten.
Mein Schicksal ist typisch für einen Whistleblower: Ich wurde von Informationen abgeschnitten, ausgegrenzt, meine Karriere wurde de facto beendet. Ich wurde daraufhin depressiv, und meine Familie zerbrach. Für die gesamte Geschichte meines Falles hat sich noch kein Journalist interessiert. Und das, obwohl jede Menge Dokumente belegen, wie die EU-Kommission und die EU-Gerichte mit kritischen Whistleblowern umgehen. Strukturell liegt da so einiges im Argen.