karikaturen etc. : Kulturkampf und Meinungsfreiheit
Man liest – auch in dieser Zeitung – derzeit Mahnungen, die sich in etwa so zusammenfassen lassen: Der Westen solle angesichts der Eskalation rund um die dänischen Mohammed-Karikaturen seine Meinungsfreiheit zwar behalten, aber doch wenigstens erst mal nicht so laut vertreten. Das ist aber eine seltsame Auffassung von Meinungsfreiheit. Dieses Grundrecht macht nur dann Sinn, wenn gerade auch die Übertretungen, die Ausrutscher und Fauxpas mitverteidigt sind – in dem Sinn, das niemand für eine Meinungsäußerungen mit Gewalt rechnen muss (mit Widerstand und im Zweifel auch Gerichtsverhandlungen wegen Verunglimpfung muss er dagegen schon rechnen). So ein fundamentales Prinzip kann man nur offensiv verteidigen: Indem man auch diejenigen angreift, die gegen Meinungsfreiheit etwas einzuwenden haben. Wie soll das sonst gehen? Indem man sich für seine Freiheitsrechte schämt?
Ist das offensive Beharren auf Meinungsfreiheit also, wie behauptet wird, ein Kulturkampf vom Westen aus? Nein. Denn die Meinungsfreiheit ist keineswegs nur ein Prinzip des Westens. Sondern eines der Demokratie, wo immer das jeweilige demokratische Land auf der Erde geografisch verortet ist. Zum Kulturkampf wird die Sache nur, wenn man Muslime von vornherein für unfähig zu Meinungsfreiheit hält. Nur wenn man Meinungsfreiheit für etwas hält, was im Westen unhinterfragt gültig ist und nicht auch hier stets aufs Neue verteidigt werden muss. Und nur wenn man bei den bestürzenden Bildern des Wochenendes nicht auch die Differenzen bei den Muslimen wahrnimmt, die Geistlichen etwa, die versuchten, beschwichtigend in die Ausschreitungen einzugreifen.
Selbst wenn sich manche so aufführen: Es gibt keinen Kampf der Kulturen. Weil es keine festgelegten kulturellen Identitäten gibt – weder des Westens noch des Islam. Hier wie dort muss kulturelle Identität, wenn man schon in solchen Begriffen denken will, immer wieder neu diskutiert und hergestellt werden. Genau auf diese Notwendigkeit antwortet ja auch das Prinzip der Meinungsfreiheit. Ohne es würde der freie Diskurs nicht funktionieren – kulturelle Identitäten würden sich verfestigen. Wer also keinen Kulturkampf will, muss bei Meinungsfreiheit hellhörig bleiben. DIRK KNIPPHALS