: „Deichkind ist wie eine Toilette“
SPARTENWECHSEL Die Hamburger HipHop-Electro-Band Deichkind steht zum ersten Mal auf einer Theaterbühne. Bei der Diskurs-Operette „Deichkind in Müll“ geht es um „Starkult, Entertainment und die Macht der Inszenierung“
heißt eigentlich Henning Besser, ist auch bekannt als DJ Phono und will sein wahres Alter nicht verraten. Er ist der Tour-DJ bei der HipHop-Electro-Band Deichkind, die 1997 in Hamburg-Bergedorf gegründet wurde. Foto: Promo
INTERVIEW UTE BRADE
taz: Herr Besser, warum macht Deichkind jetzt Theater?
Henning Besser: Letztendlich ist das ein Weiterdrehen der Ideen, die wir in den letzten Jahren ausgearbeitet haben. Mit der Bühne arbeiten und Performance machen – das ist ja auch das, was wir bei den Konzerten tun. Ich spreche da immer von einem erweiterten Konzertbegriff. Beim Theater ist man freier in der Gestaltung, die Grenzen sind anders.
Kann Deichkind das überhaupt?
Nö, aber wir machen’s trotzdem. Wir können auch keine Musik machen und tun es trotzdem. Das Stümpertum ist bei Deichkind tief verhaftet. Wir haben aber auch Leute dabei, die sich mit diesen Dingen schon beschäftigt haben. Zum Beispiel Ted Gaier, mit dem ich Regie geführt habe.
Worum geht es denn in dem Stück „Deichkind in Müll“?
Es geht um eine Hinterfragung, eine Untersuchung der Band mit theatralen Mitteln. Das Konzert ist etwas produktschaffendes, das Theaterstück eine Reflexion dessen. Die Beschäftigung mit uns selber. Wir möchten das Phänomen Deichkind begreifen.
Und was haben Sie über sich herausgefunden?
Wir haben als Künstler den Anspruch, Allgemeingültigkeit herzustellen. Popkultur, Hierarchie, Macht – das sind die Themen, die aus unserer Sicht beschrieben werden … Überhaupt: Deichkind hat auch in den Konzerten einen stark untersuchenden Charakter. Vieles kann man bei einem Konzert aber nicht zeigen, weil das Format es nicht hergibt. Auf einer Theaterbühne lässt sich mehr erkennbar machen …
Das wäre?
Wir können den Fokus auf einzelne Dinge setzten. Eine Bühnenshow hat die Funktion sechs-, siebentausend Menschen zu begeistern. Wir sprechen viele unterschiedliche Sinne gleichzeitig an. Der eine hüpft wild, der nächste schaut nur zu. Deichkind ist auch für uns nicht immer nachvollziehbar, weil sich vieles vermischt. Das ist auch eine Art Dekonstruktion, und das wiederum ist der Charakter meines künstlerischen Schaffens.
Dekonstruktion? Oder sollte man besser sagen: Selbstdarstellung?
Bei Deichkind wirst du nie verstehen, wo wir kokettieren und wo wir etwas bewusst machen, wo wir selbstreflektiert sind und wo wir nur vorgeben, es zu sein.
Wie ist die Idee entstanden, ein Theaterstück zu machen? Freunde, die unsere Musikvideos drehen, haben das Projekt zusammen mit Kampnagel entwickelt. Das Ganze wurde dann zweimal verschoben, aufgrund des Ausstiegs von Buddy aus der Band und des Todes unseres Produzenten Sebi letzten Jahres.
Deichkind ist von einer kleinen, unbekannten HipHop-Band zu einem Massenphänomen geworden. Was machen Sie heute anders als früher?
Wir machen nichts anders. Was sich konkret verändert hat: Wir sind mehr Leute geworden. Man kann von einer Professionalisierung sprechen, die man so aber auch nicht nennen kann. Wir haben keine Leute eingestellt, die alles für uns machen. Wir haben nach wie vor eine freundschaftliche, klöterige Zusammenarbeit. Wir sind ein Projekt der Massen- und Mainstreamkultur. Aber wir sind Stümper, von den Kostümen bis zur Bühnendeko.
Apropos Kostüme. Warum inszeniert sich Deichkind in Müll?
Müll ist etwas Großartiges. Wir fragen uns: Wo siehst du den Wert? Was ist wertvoll? Das ist das Schöne an Müll, der eine schmeißt ein Teil weg, der nächste findet es geil, eine Art demokratische Gesellschaftsform ist das.
Wie erklären Sie sich selbst den Deichkind-Kult?
Du kannst vieles in Deichkind reinlesen, jeder liest da was anderes. Wir befriedigen viele Bedürfnisse. Deichkind ist wie eine Toilette, ein Gefäß das für jeden formbar ist, die so aussieht wie du sie haben möchtest. Es gibt in unserer Gesellschaft auch das Bedürfnis abzuschalten, sich aus dem Alltag zu entfernen. Aber: Kein Abschalten mit Scheiße.
Ihre Fans sind ja größtenteils Jugendliche …
Nein, das stimmt nicht. Das Durchschnittsalter unserer Fans ist 24, das hat eine Fan-Befragung ergeben. Der älteste, der mitgemacht hat, ist 55 gewesen.
Eigentlich wollte ich fragen, ob Sie mit dem Stück Jüngere ans Theater heranführen wollen?
Für mich spielt das keine Rolle. Aber natürlich haben die Theaterstätten ein Interesse daran, den Nachwuchs fürs Theater zu begeistern.
Ziehen Sie sich danach endgültig zurück?
Ja. – Naja, wir haben entschieden, dass wir uns nicht festlegen, wir arbeiten ins Blaue und gucken was passiert. Bestimmt wird auch neue Musik entstehen. Dieses Jahr spielen wir noch auf drei Festivals, dann wird man uns aber mindestens ein Jahr nicht auf einer Bühne sehen.
„Deichkind in Müll“: 25. bis 28. Februar, jeweils 20.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel