: Ein Streik mit Feingefühl für die Bürger
Die Beschäftigten von Kitas, Kliniken und Müllabfuhr streiken in Baden-Württemberg für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche. Hamburg und Niedersachsen sollen folgen. Die Gewerkschaft will Druck ausüben, ohne die Bevölkerung allzu sehr zu verärgern
VON BARBARA DRIBBUSCH
Das kalte Wetter hat seine Vorteile. Zum Beispiel wenn die Müllabfuhr streikt. Biomüll stinkt dann nicht. „Das ist eher auszuhalten als im Hochsommer“, sagt Ralf Berchtold, Sprecher der Gewerkschaft Ver.di in Baden-Württemberg.
Berchtold und seine KollegInnen laufen seit gestern zu logistischer Hochform auf. In Kindertagesstätten, Kliniken und bei den Müllabfuhren der größeren Städte in Baden-Württemberg legten tausende MitarbeiterInnen die Arbeit nieder, um für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche zu kämpfen.
„Ein Streik ist das einzige Druckmittel, das wir haben“, sagt Berchtold. Die Gewerkschaft muss den Balanceakt wagen, durch den Ausstand zwar Druck auf die kommunalen Arbeitgeber auszuüben, aber die Bürger nicht zu sehr zu verärgern. Deshalb haben die Gewerkschafter vorgesorgt.
In Kliniken gebe es „Notdienstvereinbarungen“, so Berchtold. Und Eltern, die ihre Kinder partout nicht anderweitig unterbringen können, werden an private oder kirchliche Kindergärten als Ausweichquartier verwiesen – dort wird nicht gestreikt. Die öffentlichen Kindergärten bleiben pro Einrichtung nur bis zu drei Tagen hintereinander geschlossen, so der Sprecher. Der Ausstand bei den Müllabfuhren und in den Kliniken ist dagegen unbefristet.
Zum Arbeitskampf aufgerufen sind 10.000 Beschäftigte in 100 Betrieben in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs. Derzeit laufen auch in anderen Bundesländern Urabstimmungen, ab kommender Woche ist daher mit Streiks in Niedersachsen und Hamburg zu rechnen. Auch in Bayern bereitet Ver.di Aktionen vor.
Anlass des Arbeitskampfes ist die Kündigung der Arbeitszeitrichtlinien im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für die Kommunen in Baden-Württemberg, Niedersachen und in Hamburg. Bisher gilt in den Kommunen im Westen eine Arbeitszeit von 38,5, im Osten von 40 Stunden. Die Arbeitgeber wollen nun überall die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich einführen. Ver.di befürchtet, dass durch die Verlängerung der Arbeitszeit noch mehr Stellen im öffentlichen Dienst eingespart werden.
Nach der Kündigung der Richtlinien gilt für die derzeit Beschäftigten allerdings immer noch die „Nachwirkung“ der alten Regelung, also die 38,5-Stunden-Woche. Nur Neueingestellte und Beförderte können daher in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs und Niedersachsens zu einer 40-Stunden-Woche verdonnert werden. Wer das für unzumutbar halte, „der möge versuchen, in der freien Wirtschaft attraktivere Arbeitsbedingungen zu finden“, erklärt Bernd Wilkening, Hauptgeschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen.
Wilkening wendet sich gegen den Vorwurf, die Arbeitszeitverlängerung bedeute indirekt eine Lohnkürzung für Teilzeitbeschäftigte. In der Regel werden Halbtagskräfte prozentual gleich bleibend zu den Vollzeitkräften bezahlt, sie müssten dann nur eben länger arbeiten, so Wilkening. Nur bei neu eingestellten Teilzeitbeschäftigten mit einer festen Stundenzahl von beispielsweise 15 Stunden käme es zu einer Gehaltsminderung, weil das Entgelt dann auf Basis einer höheren Vollzeit berechnet werde. Das seien aber „absolute Ausnahmefälle“.
Neben dem Arbeitskampf in den Kommunen leitete Ver.di auch Urabstimmungen in einzelnen Landesbetrieben ein. Vor allem Universitätskliniken sollen bestreikt werden. In den Ländern gilt derzeit auch nur der alte BAT-Tarifvertrag mit Nachwirkung, auch hier will Ver.di für den Westen die 38,5-Stunden-Woche tariflich erhalten, erklärt Jan Jurczyk, Sprecher der Ver.di-Hauptverwaltung in Berlin.