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Archiv-Artikel

Geist soll in die Flasche zurück

INTERNET Die „New York Times“ und andere Blätter wollen für ihre Inhalte im Netz wieder Geld verlangen. Kritiker zweifeln, dass dies funktionieren wird. Leser sind verärgert

Tausende beschwerten sich bereits per E-Mail und kündigten an, dass sie nicht bereit wären, zu zahlen

VON PAUL HOCKENOS

Die digitale Medienwelt ist in ihren Grundfesten erschüttert: Ausgerechnet NYTimes.com, der Online-Ableger der großen New York Times, hat diese Woche kostenlose Internetangebote von Zeitungen zu einem Modell ohne Zukunft erklärt. Man werde in nächster Zeit wieder ein Abrechnungsmodell für Online-Inhalte einführen, so die NYT.

NYTimes.com ist die populärste US-Zeitungswebsite mit mehr als 17 Millionen Besuchern im Monat. Nun soll ein neues System nur noch eine kleine Zahl von kostenlosen Artikeln pro Monat anbieten. Ist dieses Schnupperangebot aufgebraucht, müssen Leser künftig eine Flatrate für unbegrenzten Zugang zu den NYTimes.com-Inhalten bezahlen. Der genaue Preis steht noch nicht fest.

Der lang erwartete Schritt könnte sich als Wendepunkt der gesamten US-Zeitungsindustrie in Richtung Paid Content, also bezahlter Internet-Inhalte, erweisen. Doch die neue Strategie der NYT ist vom Grundsatz her riskant. Kritiker warnen bereits, dass die neue Geschäftspolitik das kriselnde Unternehmen weiter schwächen könnte.

Das kostenpflichtige NYT-Modell stand auch im Mittelpunkt der jüngsten „Paid Content 2010“-Konferenz in New York. Hinter dem Branchen-Meeting steht die gleichnamige Lobbygruppe, die sich gern als Speerspitze der Onlinebezahlbewegung – vom klassischen Abo und Micropayments bis zu Spendenmodellen oder der Onlineabrechnung über die Handyrechnung – sieht. Der Herausgeber und Chairman der New York Times, Arthur Sulzberger, Jr. gab in seiner Keynote auch zu, dass jede Pay Wall mögliche Leser abschrecke, da die überwiegende Zahl der Internetnutzer alle bezahlpflichtigen Inhalte mieden. Daher erwarte die NYT „auch noch keine größeren Einnahmen im ersten Jahr“, das Ganze sei vielmehr eine Langzeitstrategie, um Werbeeinnahmen zu steigern.

Das reichte zumindest für überwiegende Zustimmung bei den anwesenden Branchenvertretern: „Redaktionen arbeiten besser, wenn die Journalisten wissen, dass die Leser einen Teil der Fracht bezahlen“, sagte Steven Brill von der Online Journalism Review. Kritiker wie Jacob Weisberg von Slate waren weniger überzeugt. Selbst wenn das NYT-Modell funktionieren sollte, werde es sich für die Onlineangebote kleinerer Medienunternehmen nicht lohnen, so Weisberg. „Erfolgreiche Medienangebote suchen zuerst nach ihrem Publikum und sehen dann zu, wie sie daraus Geld machen können“, sagte Felix Salmon von der Agentur Reuters. „Nur dem Untergang Geweihte versuchen kurzfristig ihren Umsatz zu steigern und vertreiben dadurch ihr Publikum. Zumindest verärgert hat auch die NYT.com-Ankündigung viele Leser: Tausende beschwerten sich bereits per E-Mail und kündigten an, dass sie nicht bereit wären, zu zahlen.

Doch die NYT ist nicht allein bei ihrem Pay-Feldversuch: Die Londoner Financial Times kassiert bereits, auch die viel kleinere Arkansas Democrat-Gazette und das Albuquerque Journal; andere Blätter haben angekündigt, diesen Beispielen zu folgen. Manche setzen auch auf kleine Summen: Die Sporting News will ihnen mehreren hunderttausend Onlinelesern ab sofort 2,99 Dollar pro Monat in Rechnung stellen. Der Verlag rechnet damit, dass 20 bis 30 Prozent der aktuellen Leserschaft wenigstens so tief in ihre Tasche greifen.

Übersetzung: S. Grimberg