: Körper und Skulpturen
TANZ Das Moussokouma-Festival präsentierte neue Choreografien aus Afrika im Berliner HAU
Der Afropolitan ist ausgerufen, seine Erfindererin Taiye Selasi tourt mit ihrem Romandebüt „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ um die Welt, und gerade hat Teju Cole für seinen Roman „Open City“ den Internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt erhalten. Parallel lief im Berliner HAU die zweite Ausgabe von Moussokouma, einem Festival für zeitgenössischen Tanz aus afrikanischen Ländern und der Diaspora. Keine Frage: Afrikanische Kunst ist im Kommen.
Allerdings mangelt es, wo es um Tanz geht, an Produzenten wie an Kuratoren. Gezeigt wird, was in Frankreich Erfolg hat und durch die Koproduktionsnetzwerke von Montpellier Danse, den Centres Choréographiques oder dem Festival d’Avignon ging. Das ist bei Moussokouma, das Alex Moussa Sawadogo sorgfältig kuratiert und das sieben afrikanische Choreografinnen vorstellt, nicht anders.
Aber eine ausdifferenzierte Kuratorenpraxis würde den einzelnen Künstlern ohnehin wenig bringen. Sie versuchen zwar, sich in ihren Heimatländern ein Publikum aufzubauen, doch ihr finanzieller Haushalt speist sich oft vollständig aus dem eurozentrischen Festivalbetrieb.
Trotz dieser Polung muss man sich über eine allzu frankophile Tanzsprache keine Gedanken machen; daran lassen die sieben im HAU gezeigten Stücke keinen Zweifel. Ohnehin geht es darin weniger um Tanztechnik als vielmehr um individuelle Körpersprachen. „Ich habe keine Techniken gelernt, sondern vielmehr das Gefühl, da zu sein“, sagt die algerischfranzösische Tänzerin Dalia Belaza.
Um die Diskriminierung von Frauen geht es in jeder der Aufführungen – mit zum Fetisch erhobenem High Heel, der in fast keiner der Produktionen fehlt. Stärker noch als die inhaltliche Ausrichtung fällt die stark an bildender Kunst orientierte Ästhetik der Stücke auf. Fast jede Bühne könnte auch als Installation in einer Galerie stehen. Bouchra Ouizguen aus Marokko arbeitet seit fünf Jahren mit Sängerinnen und Tänzerinnen, die sie einst in einem Autobahnnachtclub entdeckt hat, zusammen. Deren füllige Leiber arrangieren sich in „Madame Plaza“ zu formvollendeten Skulpturen. Assoziation mit Aristide Maillol und Henry Moore kommen auf, jede Kurve scheint in der genau stimmigen Raumkoordinate zu liegen. Auch bei Mamela Nyamza aus Südafrika wirkt jede Aktion gleichzeitig als Bild. Ihr sozialkritisches Gender- und Sportlerinnenstück „Shift“ findet in einem weiß gehaltenen Laborguckkasten statt, in dem der XL-Kühlschrank ein letzter Zufluchtsort vor dem eigenen Durchbrennen wird.
Die französischalgerische Choreografin Nacera Belaza, die für ihre reduzierte, minimalistische Tanzsprache bekannt ist, schafft in „Le Trait“ einen synästhetischen Dämmerungsraum zwischen Klangclustern, peripherer Lichtregie und tänzerischer Trancetechnik. Während Belaza ihre Suche nach dem Jenseits der funktionalen Körper-Geist-Erfahrung auf die Metapher „Wir sind keine Flasche“ herunterbricht, ist es bei der ivorischen Tänzerin Nadia Beugré gerade die Flasche, an der sie ihre Sozialkritik festmacht. Die PET-Flaschen stehen hier für Frauen, es geht um Wegwerfen oder Recyceln. Und dabei gelingt in berauschenden Flaschenkostümen und -arrangements das unheimlichste, abgründigste, brutalste, besessenste Stück des Festivals. Auch steht damit fest, dass sich Beugré zumindest als Performerin vom tragischen Tod ihrer Mentorin und Partnerin, der ivorischen Avantgardechoreografin Béatrice Kombé, erholt hat.
Das Highlight der Bühnenraumgalerien bildete dann die letzte der Deutschlandpremieren. In der Zusammenarbeit zwischen der Performerin Nelisiwe Xaba und dem Computerkünstler Mocke J. van Veuren entstand „Uncle and Angles“ als eine crossmediale Echtzeitanimation auf höchstem internationalem Niveau. Van Veuren entwickelte ein Programm, mit dem live aufgezeichnete Motion-Captures der Tänzerin gesampelt und in seriellen Schichten über- und hintereinandergelegt werden können. In dieser Technik beschäftigte sich das Künstlerduo mit dem traditionellen Jungfrauentanz Reed, einer Zulupraxis, die inzwischen zu Event- und Tourismuszwecken eingesetzt wird, einschließlich zuhälterartiger Manager. Auch hier überdeckte das Staunen des Publikums über die Ästhetik – buchstäblich mit offenem Mund und vielen Ahs und Ohs – nicht die emotionalen Nuancen des Stückes.
Moussokouma, das zeigen auch die Publikumsdiskussionen unter der Moderationen von Funmi Adewole, bietet mit starken Stücken und plastischen Bühnenräumen ein anregendes Panorama. Das Resultat: mehr Lust auf ästhetische Transzendenz. ASTRID KAMINSKI