: Freiheit oder Pflicht
SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Was leistet der Feminismus in Zeiten neoliberaler Selbstoptimierung? Die „Feministischen Studien“ suchen nach Antworten
Lean in – häng dich rein!, heißt der neue Schlachtruf der amerikanischen Starfeministin Sheryl Sandberg. Das Buch der Facebook-Chefin, das Frauen zum Hochleistungsrennen durch Chefetagen und Kinderzimmer animiert, kultiviert die Vorstellung, es bedürfe nur genügend Superdamen, damit es in der schönen neuen Frauenwelt wohnlich wird. Während die älter gewordenen Alpha-Mädchen an ihrer Selbstoptimierung basteln, entdecken die Jüngeren den Körper als Waffe, reißen sich die Blusen auf oder posten ihre Empörung über soziale Netzwerke. Und die „Altfeministinnen“? Was wird aus den reich gefüllten feministischen Theoriearchiven, nachdem der Feminismus in neoliberaler Kostümierung die Bühne betreten hat?
Wie schwer sich Frauen mit der Staffelübergabe tun, konnte man anlässlich der Jubiläumsfeier der Feministischen Studien am Freitag im Clubhaus der FU Berlin beobachten. Ein zum Popanz aufgebauter „Schwarzer-Feminismus“ und reichlich Generationen-Clinch: „Mannschaft?!“, raunt es irritiert durch die Reihen, als sich eine Bloggerin von der „Mädchenmannschaft“ vorstellt. „Kenne ich nicht“ und: „lerne ich sowieso nicht mehr“. Dabei verspricht Mitherausgeberin Sabine Hark doch, das Blatt wieder stärker an „nicht-akademische feministische Öffentlichkeiten“ heranführen zu wollen.
Als die Feministischen Studien 1982 gegründet wurden, gingen sie den umgekehrten Weg. An der sensiblen Nahtstelle von frauenbewegter Aktion und theoretischer Ausdifferenzierung war ihre Losung „Professionalität“. Das ist wohl auch das Geheimnis, warum sie als eine der ganz wenigen Publikationen der Neuen Frauenbewegung überlebt haben. Wie in keinem anderen Blatt bildete sich hier der Weg von kritischer Gesellschaftsanalyse über Dekonstruktivismus zum cultural turn ab; und seitdem sie in den internationalen Zitationsindex aufgenommen wurde, verteilt sie sogar akademische Anerkennung.
Das 30-jährige Bestehen feiert die Redaktion nun mit einem Band, auf dessen Titelblatt Angela Dwyer eine politisch-polemische Frage ins Künstlerische übersetzt: „Was wollen Sie noch?“ Was will das Weib, nachdem es die Institutionen gendergestreamt hat und politische Correctness den Benimm bestimmt? Braucht es noch feministische Wissensproduktion? Und gibt es angesichts der Adaptierung feministischer Theoriesegmente in die neoliberalen Eliteprojekte überhaupt noch „die Radikalität“, an „utopischen Perspektiven“ festzuhalten, wie es im Editorial der Nummer 1 hieß?
Die Antworten der 31 Autorinnen, unter denen sich übrigens kaum eine aus Ostdeutschland findet, fallen naturgemäß unterschiedlich aus. Viele sehen den „Wendepunkt“ in den 90er Jahren, als das „unproblematische „wir“ durch ein problematisches „sie“ ersetzt wurde, wie Ute Gerhard, die englische Kollegin Angela McRobbie zitierend, schreibt. Das „theoretische Verschwinden der Frauen als Subjekt“, so Gabriele Kämper, „hat die Formulierung politischer Anliegen erschwert.“ Und der Neoliberalismus führt zu paradoxen Verschiebungen: Die Hausfrauenrolle wird von der „Pflicht zur Berufstätigkeit“ abgelöst (Christel Eckart), „das Recht auf generative Selbstbestimmung“ verkehrt sich zum „selbstverantwortlichen Entscheidungszwang“ (Tove Soiland).
Eine der größten Herausforderungen ist das neue Verhältnis von globaler deregulierter Care-Arbeit und unbezahlter Reproduktion. Eine andere wird sein, ob es die Herausgeberinnen schaffen, sich auf den Strukturwandel auch der feministischen Öffentlichkeit einzustellen und gelegentlich auch „ohne Netz zu denken“. ULRIKE BAUREITHEL
■ „Feministische Studien“, 1/2013, „Was wollen Sie noch?“ Lucius-Verlag Stuttgart, 34 Euro (Einzelheft)