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Archiv-Artikel

Musik und Tanz gegen das Verbot

GRIECHENLAND Der Staatsrundfunk ERT in Athen bietet ein Kulturspektakel der besonderen Art. Die Regierung sucht derweil nach einer politischen Lösung

Das oberste Verwaltungsgericht wird bald verkünden, ob es die Entscheidung zur ERT-Schließung einfriert

AUS ATHEN EVA VÖLPEL

„Selbst die Anarchisten hören jetzt klassische Musik“, schmunzelt Haris Konstantatos. Vor dem großen Gebäude der ERT-Zentrale spielte am Freitag und Samstag das Rundfunkorchesters des griechischen Staatssenders ERT auf einer improvisierten Bühne im Freien Beethoven, später wechselt es zu Tango – und ältere Besucher beginnen zu tanzen.

Es ist ein Kulturprogramm der besonderen Art, dass die 2.700 gefeuerten Beschäftigten der einzigen nichtkommerziellen Rundfunkanstalt Griechenlands und ihre Unterstützer an diesem Wochenende in Athen bieten. Diskussionsrunden wechseln sich ab mit Aufführungen von Stand-up-Comedians, klassischer Musik und Bands. Die ERT-Zentrale ist bedeckt mit Transparenten gegen ihre Schließung, gegen die Troika-Politik und für die Demonstranten in Istanbul. „Samaras hat sich politisch verschätzt, die Welle der Solidarität mit ERT ist riesig“, sagt Eleni. Griechenlands Premierminister Antonis Samaras hatte am Dienstag vergangener Woche per Regierungserlass die Schließung des Senders ERT aus Sparzwängen verkündet. Und damit unerwartet eine enorme Protestwelle losgetreten, die bis ins Ausland reicht.

Junge Politaktivisten stehen an diesem Wochenende neben elegant gekleideten älteren Frauen und Herren, die ganze Nacht über strömen Menschen auf das Gelände. „Es sind sicher wieder 20.000 heute Nacht hier“, sagt Christos. Die Besetzer sind immer besser organisiert: Ein ärztlicher Notdienst ist eingerichtet, jeden Morgen säubern Freiwillige den Rasen von Müll, Organisationskomitees diskutieren die Sendepläne, der bekannte US-amerikanische Geograf und Sozialtheoretiker David Harvey schaut zu einer Diskussionsrunde vorbei.

Derweil sucht die Regierung von Antonis Samaras nach Wegen, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen. Einerseits attackierte Samaras in einer Rede vor der Parteijugend am Freitagabend scharf die Gewerkschaften. Sie vertreten nur Minderheiten, ihre Zeit sei bald vorbei, so Samaras.

Andererseits bot der Chef der Nea Demokratia am Wochenende an, den Sender in verkleinerter Form sofort wieder hochzufahren. Die Koalitionspartner Pasok und Dimar lehnen das ab. Sie waren von der ERT-Schließung nicht informiert worden und verlangen, dass diese komplett zurückgenommen wird. Am Montagabend wollen sie sich zu einem Krisengespräch treffen – fast zeitgleich mobilisiert das große Linksparteibündnis Syriza zu einer Kundgebung vor dem Parlament. Die Regierung wackelt, da sind sich viele einig. Ein letzter Ausweg für Samaras könnte das oberste Verwaltungsgericht bieten. Es soll Montag oder Dienstag bekannt geben, ob es die Entscheidung zur ERT-Schließung einfriert. Der Sender könnte dann offiziell die Arbeit wieder aufnehmen – bis das Parlament endgültig über sein Schicksal befindet.