: Chill out zum Halleluja
AUS OBERHAUSEN GESA SCHÖLGENS
Lautes Hämmern drängt durch die Kirchtür ins Freie. Drinnen sitzen drei Jugendliche und zwei Erwachsene auf dem gefliesten Boden. Im Licht der Strahler bearbeiten sie Holzklötze mit Hammer und Meißel, dass die Späne nur so fliegen. Aus einem CD-Player erklingen leise Engelschöre. Barbara Laser hockt auf einem Baumstumpf und schnitzt an einem Holzkreuz, dem Symbol der Jugendkirche Tabgha in Oberhausen-Buschhausen. „Passt irgendwie nicht zum Bild von Kirche, dass da Leute sitzen, hämmern und Dreck machen, oder“, sagt die 22-Jährige, lächelt und zeigt auf den Haufen Sägespäne.
Barbara Laser kommt seit zweieinhalb Jahren regelmäßig aus Essen zur Jugendkirche in der Fichtestraße und besucht auch die Gottesdienste. „Nach der Arbeit gehe ich gerne mal zur ‚Auszeit‘ am Mittwoch. Wir singen moderne geistliche Lieder, die von einer Liveband gespielt werden, es gibt Gebete und Meditation“, erzählt die rothaarige Azubi. Barbara Laser mag die Lebendigkeit der Predigten. „Man wird selbst aktiv, bekommt Denkanstöße und lässt sich nicht nur berieseln.“ Außerdem lerne man „liebe Menschen“ kennen.
Neben den normalen Gottesdiensten gibt es in der Oberhausener Jugendkirche diverse langfristige Projekte, Events und Aktionen. Der Holzworkshop an diesem Tag etwa läuft parallel zur Skulpturenausstellung „Könige“ von Götz Sambale. In der Kirche verteilt stehen lange, kurze, dicke und dünne Holzkegel und Baumstümpfe. Auf jedem von ihnen posieren kleine Könige, die der Kölner Künstler aus Holz und Bronze gefertigt hat. Die Ausstellung fordert zur bewussteren Wahrnehmung von Kindern auf.
Nach dem Workshop besucht Barbara den Abendgottesdienst. Statt auf harten Kirchenbänken sitzt man hier auf roten, grünen, blauen und gelben Stühlen. An den 15 Meter hohen Wänden hängen knallbunte Grafitti, die von Kids aus dem Oberhausener Jugendzentrum gesprayt wurden. Jedes davon stellt eines der zehn Gebote dar. „Sunday Chill out“ steht in großen Buchstaben auf einem der Bilder. „Du sollst den Feiertag heiligen“, heißt das im Slang der Jugendlichen.
„Jugendkirche heißt, eine jugendgerechte Sprache finden“, sagt Oliver Heck, Jugendreferent der katholischen Kirche in Oberhausen. Er glaubt, dass die Kirche inzwischen 80 bis 90 Prozent der jungen Menschen nicht mehr erreicht. Gemeinsam mit Jugendseelsorger Bernd Wolharn hat Heck deswegen vor sieben Jahren das Tabgha-Konzept entwickelt. Zuvor befragten sie 5.000 Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren. „Dabei kam heraus, dass die meisten die Gottesdienste als langweilig und lebensfern beurteilen“, sagt Heck, und seine großen Augen hinter den Brillengläsern blicken ernst dabei. Deswegen sind die Tabgha-Gottesdienste anders. Sie finden sonntags um 18 Uhr statt. Diese Uhrzeit haben sich die Befragten gewünscht, um morgens ausschlafen und abends noch ins Kino gehen zu können. Die Predigten werden durch Chartsmusik, Video- und Werbeclips aufgepeppt.
Ihre Räume teilt sich die Jugendkirche mit der Gemeinde Christ König, „eine sehr tolerante und progressive Gemeinde“, so Heck. Das ist nicht ganz unwichtig, verwandelte sich doch bei einem Projekt schon mal die ganze Kirche in eine Wüste; 40 Kubikmeter Sand wurden im Gotteshaus aufgeschüttet.
„Tabgha“ heißt der Ort am See Genezareth in Israel, wo angeblich vor zwei Jahrtausenden die wundersame Brotvermehrung stattfand und noch heute ein Kloster steht. „Das klingt geheimnisvoll und mystisch und nicht nach Schokoriegel“, sagt Heck und grinst. Auch in Oberhausen sollen junge Menschen zusammenkommen, etwas mitbringen und es teilen. Barbara Laser hat heute ihre Freundin Jana zum Holzworkshop mitgebracht. „Ich bin eigentlich kein Kirchgänger, aber gerne kreativ“, sagt die 21-Jährige. Ihr gefällt vor allem die lockere Atmosphäre. „In normalen Kirchen darf man nicht laut sprechen, es wird nicht diskutiert“, so Jana. Sie will gerne wiederkommen, allerdings nur, wenn es ums Basteln und Werken geht. „Unser zukunftsweisendes Paradigma muss lauten: Bindung auf Zeit“, sagt Heck. Man müsse akzeptieren, wenn die Jugendlichen bei einem Projekt mitarbeiten und anschließend der Jugendkirche wieder den Rücken kehren. „Damit tun sich viele Gemeinden noch schwer.“
Bisher habe Tabgha etwa 30.000 Jugendliche erreicht, der harte Kern besteht aus rund 50 Menschen. Nicht nur Junge, auch Ältere und Familien schätzen den Gottesdienst. Die Stühle sind an diesem Tag bis auf den letzten Platz besetzt. Ein junger Mann spielt Saxophon, sein Freund begleitet ihn auf dem Keyboard. Passend zur Ausstellung „Könige“ erzählt Priester Bernd Wolharn von den drei Weisen aus dem Morgenland, die auf dem Weg zu Jesus alles stehen und liegen lassen. „Lass uns in deinem Namen, Herr, die richtigen Schritte tun“, bittet der rotblonde Mann. Derweil eilt ein kleiner Junge mit seiner Mutter in schnellen Schritten zur Toilette. Stören tut sich keiner daran. Nun soll jeder Besucher die Stühle beiseite schieben und sich einen der kleinen Bronzekönige aussuchen, der ihn anspricht. Um die Skulpturen versammeln sich kleine Grüppchen. „Redet mit einander über eure Könige“, fordert Wolharn auf. „Also, mir gefällt der, weil er so klein ist“, sagt ein Mädchen mit blonden Locken. „Ja“, meint ihre Nachbarin. „Man muss sich bücken, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Es ist auch schön, dass er in Richtung Altar blickt.“ Dem kleinen Jungen ist das Ganze zu langweilig. Er rennt im Slalom um die Holzblöcke, auf denen einsame Könige hocken. Bernd Wolharn schreitet nun langsam in seinem langen weißen Gewand in die Mitte der Kirche. Mit hoher Stimme singt er ein „Halleluja“, die anderen folgen ihm.
Später stellen sich Alt und Jung in einer langen Reihe mitten in der Kirche auf. Sie fassen einander an den Händen. „Wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, geht einen Schritt vor“, ruft Wolharn, der nun vor dem Altar steht, in sein Mikro. Alle stolpern lachend einen Schritt vor. „Wer glaubt, dass in der Kirche kein Platz für Jugendliche ist, geht einen Schritt zurück.“ Einige treten zurück, die Menschenkette spannt sich bedrohlich. So geht es eine Weile, bis Wolharn das Spiel stoppt. „Habt ihr Widerstände gespürt? Ist die Kette gerissen?“ fragt er. Die jungen Menschen sollen sich als Christ positionieren. „Fragt euch selbst: Was will ich, und was will ich nicht in der Nachfolge Christi.“ Die Botschaft ist angekommen, einige nickend zustimmend.
Sogar Theologiestudenten aus Bamberg sind angereist, um am heutigen Gottesdienst teilzunehmen. Wie viele Hochschulen und Kirchengemeinden aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz interessieren sie sich für das Projekt. Inzwischen hat Tabgha 70 Nachahmer gefunden.
Probleme bereiten nur die Finanzen. Heck befürchtet, aufgrund leerer Kassen des Bistums schon bald mit weniger Geld und Personal auskommen zu müssen. Die Tabgha-Fans hoffen, dass es trotzdem weiter geht. „Ich gehe nicht mehr gerne in andere Kirchen“, erzählt Barbara Laser. Durch das besondere Angebot sei man schon verwöhnter und anspruchsvoller geworden. „Es macht auch nichts, als Erwachsener hierher zu kommen“, sagt sie. „Das Publikum ist sehr gemischt, das fällt gar nicht weiter auf.“