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Archiv-Artikel

Fünf türkische Journalisten angeklagt

Ihre Berichterstattung über eine umstrittene Armenienkonferenz soll Beleidigung der Justiz gewesen sein

ISTANBUL taz ■ Unter massivem Polizeischutz und begleitet von nationalistischen Demonstranten hat gestern in Istanbul ein Prozess gegen fünf prominente Journalisten begonnen. Die Publizisten, darunter der Chefredakteur der wichtigsten linksliberalen Tageszeitung Radikal, Ismet Berkhan, sind angeklagt, die Justiz beleidigt zu haben. Grund für die Anklage sind jeweils unterschiedliche Artikel und Kommentare, in denen das Istanbuler Bezirksgericht Sisle kritisiert wurde, weil es eine wissenschaftliche Armenienkonferenz verbieten wollte.

Der gestern begonnene Prozess ist praktisch die Folgeveranstaltung zu dem aus formalen Gründen eingestellten Prozess gegen den Schriftsteller Orhan Pamuk. Allerdings haben die jetzt angeklagten Journalisten sich in ihren Artikeln gar nicht direkt zur umstrittenen Armenienfrage geäußert, sondern lediglich darauf bestanden, dass ein Gericht nicht in die Freiheit der Universitäten, die die Armenienkonferenz veranstalten wollten, eingreifen sollte.

Die gestrige Verhandlung fand unter reger Anteilnahme befreundeter Journalisten und anderen Unterstützern der Angeklagten statt. Gleichzeitig hatten aber auch rechtsradikale nationalistische Vereine mobilisiert, deren Anwälte in dem Prozess als Nebenkläger vertreten sind. Das Gericht behandelte gestern vor allem formale Fragen nach Zuständigkeit und möglicher Verjährung der fraglichen Delikte. Nach teilweise turbulenten Szenen im Gerichtssaal, bei denen die so genannten „patriotischen Anwälte“ den Richter niederschrien, weil er ihnen nicht das Wort erteilen wollte, wurde der Prozess auf Anfang April vertagt.

Die Türkei ließ erst in jüngster Zeit ein Diskussion über die Massaker gegen Armenier im früheren Osmanischen Reich zu. Die Einstufung als Völkermord lehnt Ankara jedoch ab.

JÜRGEN GOTTSCHLICH