: Pott geht am Stock
Die Jungen und Qualifizierten gehen, die Alten und Armen bleiben: So sieht das Ruhrgebiet in 20 Jahren aus, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Rüttgers: „Regierung ist nicht der Arzt“
VON MIRIAM BUNJES
Weniger Familien, weniger gut Ausgebildete, stattdessen mehr alte und arme Menschen: Das Ruhrgebiet ist deutlich stärker vom demographischen Wandel betroffen als andere Städte in Westdeutschland, zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die Autoren bezeichnen das Revier deshalb als „Laboratorium des demographischen Wandels“, das der bundesweiten Entwicklung um 25 Jahre voraus sei.
Bis 2020 werden die Ruhrgebietsstädte Einwohner im zum Teil zweistelligen Prozentbereich verlieren: Gelsenkirchen beispielsweise hat in den vergangenen zehn Jahren bereits 5,7 Prozent Einwohner verloren. Bis 2020 gehen weitere 11,7 Prozent. Duisburg verliert 9,8 Prozent seiner Einwohner, die Nachbarstädte Essen und Bochum je sechs Prozent. Damit liegt das Ruhrgebiet weit über dem NRW-Durchschnitt: Insgesamt werden 2020 im größten Bundesland 1,9 Prozent weniger Menschen leben.
Vor allem aber altert die Ruhrgebietsgesellschaft deutlich schneller als die Bevölkerung in Berlin oder Hamburg. Denn: „Der Alterungsprozess im Ruhrgebiet hängt nicht nur mit den niedrigen Geburtenraten zusammen“, sagt Annett Schulz vom Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung der Ruhruniversität Bochum. Im Gegenteil: Im Revier werden sogar mehr Kinder geboren als im Bundesdurchschnitt. Sie bleiben nur nicht. „Junge Familien und besser Verdienende ziehen aufs Land, weil sie die Lebensqualität dort höher einschätzen“, sagt die Soziologin.
Die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet fördert den Wandel: Trotz der zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen verlassen die meisten nach Studienabschluss das Ruhrgebiet wieder. Entsprechend gibt es deutlich weniger hochqualifizierte und dadurch besserverdienende Beschäftigte als in anderen deutschen Großstädten. Das wiederum führt zu niedrigeren Steuereinnahmen der Kommunen und zu einer niedrigeren Kaufkraft der Bevölkerung, die auf Investoren abschreckend wirken, analysiert die Studie.
„Schrumpfung muss trotzdem auch als Chance begriffen werden“, sagt Annett Schulz. Dadurch, dass es immer weniger Kinder im Revier gebe, sei die Infrastruktur für Familien vergleichsweise gut. „Die Kommunen sollten auf keinen Fall ihre Betreuungs- und Beratungsangebote abbauen, sondern sie eher als Standortvorteil bewerben“, sagt die Soziologin. Die Alterung der Gesellschaft sei jedoch nicht aufzuhalten, daher müssten sich die Kommunen bei Städtebau und Wirtschaft verstärkt auf ältere Menschen einstellen.
Ein Wandel, der Geld kosten wird. „Die Regierung ist nicht der Arzt des Reviers“, stellte der nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) am Dienstagabend beim Politischen Forum Ruhr unmissverständlich fest. Zwar werde es weiter Fördergelder geben, bei der Vergabe werde jedoch künftig der Wettbewerb stärker im Vordergrund stehen. „Die Leuchtturm-Politik von Rot-Grün ist vorbei.“