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Archiv-Artikel

Hobbybastler und Tüftler sind gefragt

Immer mehr Firmen setzen bei der Suche nach Innovationen auf die Erfindungen und Ideen von Laien. Sie wissen am besten, was der Kunde wünscht

„In vier von fünf Fällen waren die Anwender gleichzeitig die Erfinder der Innovation“

Wer kennt sie nicht, die Hobbybastler. Sie tüfteln stundenlang an ihrem Auto, iPod oder Mountainbike. Was herauskommt, kann sich zwar nicht immer sehen lassen, aber die Genies unter ihnen sind neuerdings massiv gefragt. Firmen, stets auf der Suche nach unerfüllten Kundenwünschen, haben erkannt, wie hilfreich diese „Lead User“ für sie sind: Sie bieten innovative Lösungen – gratis und schnell.

Dass Laien Produkte zu ihrem eigenen Nutzen verbessern, ist nicht neu. Schon in den 1940er-Jahren bauten beispielsweise die Gitarristen Les Paul und Merle Travis die erste Gitarre aus einem massiven Holzkörper, genannt „solid body“. Namhafte Hersteller schnappten diese Idee auf – die E-Gitarre revolutionierte später die Musikbranche. Trotzdem mausert sich das Phänomen erst jetzt zum Megatrend. Der Anteil der von Wissenschaftlern entwickelten innovativen Messgeräte liegt etwa bei 77 Prozent. Jedes zweite neue Sportgerät haben sich Freizeitsportler ausgedacht. Im Bereich Chirurgie haben 22 von 100 Ärzten Geräte für sich optimiert.

Zum Massenphänomen wurde „Costumer-made“ allerdings erst mal in der IT-Branche. Freaks haben in großer Zahl Softwarelösungen ins Netz gestellt – für jedermann zum kostenlosen Download. Andere Bastler konnten so Fehler verbessern und das Produkt warten. Linux ist das beste Beispiel für den Erfolg einer „Open Source“-Software. Derzeit sollen mehr als 80.000 ähnliche Projekte im Internet kursieren. Microsoft verteilt halb fertige „Beta“-Versionen an Millionen Interessierte, um sie auf ihre Tauglichkeit testen zu lassen. Mittlerweile treffen sich die Freizeitingenieure in Chatrooms und virtuellen Cafés. Die iPod-Community offenbart beispielsweise in der „iPod-Lounge“, was sie sich für Neuerungen wünscht – manchmal gleich inklusive Bauanleitung.

Weil Hersteller erkannt haben, wie lukrativ diese Entwicklung für sie ist, gehen einige aktiv auf die Lead User zu. So konnten sich im Jahre 2003 Autofans ein Bastelprogramm von der BMW-Homepage herunterladen, um Online-Dienste im Wagen zu verbessern. BMW lud die 15 besten Ideengeber nach München ein. Dort diskutierten die technikbegeisterten Männer mit den hauseigenen Ingenieuren. Zwei Ideen wurden umgesetzt. Etwa ein System, das dem Besitzer per SMS mitteilt, wo sich sein Wagen befindet.

Es geht aber auch ohne Internet, und zwar auf dem klassischen Weg. Entweder lernt man sich auf Messen kennen, oder, im Sportbereich, Firmenvertreter erscheinen schon mal auf einem Treffen der Fangemeinde. Manche Lead User erfinden und übernehmen auch gleich die Produktion. So geschehen bei Nat Sims, Mediziner am Massachusetts General Hospital in Boston. Er entwickelte unter anderem eine „smarte Infusionspumpe“. Die erkennt, ob ein Kranker seine Medikamente in der richtigen Dosis erhält – was nicht selten überlebenswichtig ist.

Dass sich die Hilfe von Ärzten in der Medizintechnik auszahlt, hat Christopher Lettl, Wirtschaftswissenschaftler an der TU Berlin, in Fallstudien bestätigt: „In vier von fünf Fällen waren die Anwender gleichzeitig die Erfinder der Innovation, etwa von chirurgischen Robotiksystemen oder biokompatiblen Implantaten“, so Lettl.

Woher die Lead User ihr Wissen haben, erklärt der Marburger Professor Christian Lüthje: „Jemand, der beruflich vielleicht Orthopäde ist, kann dieses Wissen auch beim Mountainbike einsetzen. Etwa indem er einen ergonomischen Rahmen entwickelt“, so Lüthje. Oft stammten die Ideen aus anderen Bereichen.

Nach Alter, Geschlecht oder Bildung lassen sich die Pioniere jedoch nicht charakterisieren. „Das hängt immer vom Produkt ab“, so Lüthje. „Lead User müssen jedoch wichtigen Markttrends voraus sein und ein dringendes Bedürfnis haben, Probleme zu lösen“, so der Wirtschaftswissenschaftler Eric von Hippel, vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der ein Buch über „Democratizing Innovation“ (MIT-Press 2005) verfasst hat.

Dieses Bedürfnis kommt den Firmen gelegen. Denn nur jedes zweite Unternehmen ist mit dem Erfolg herkömmlicher Innovationsprozesse zufrieden, laut einer Umfrage der Boston Consulting Group. „Der große Vorteil der Nutzer-Innovationen ist, dass vielleicht 50 Entwickler mehreren tausend Usern gegenüberstehen. Die sind schlichtweg schneller und kreativer“, so Lüthje. KATHRIN BURGER