: Düsteres Gewölk über dem Dancefloor
JAZZ-FESTIVAL Zum 200. Geburtstag haben sich etliche deutsche Jazzmusiker mit dem Komponisten Richard Wagner auseinandergesetzt. Der Schlagzeuger Eric Schaefer präsentiert seinen Wagner im Clubsound am Sonntag beim „Jazz Open“ in Planten un Blomen
VON ROBERT MATTHIES
Keine Pauken, nicht mal Bläser. Keine monumentale Ewigkeit, kein deutschtümelndes Heroisieren, kein düster dräuendes Gewölk: Leichtfüßig tänzelte Richard Wagner durchs sonnige Venedig, als ihn der US-amerikanische jüdische Pianist, Keyboarder und Komponist Uri Caine kurz vor der Jahrtausendwende mit einem Kaffeehausorchester – an der Violine: Mark Feldman – einspielte.
Für den klassisch ausgebildeten Caine nichts Ungewöhnliches: Mahler hat er schon „dekonstruiert“, Mozart „verjazzt“, die Bach’schen Goldberg-Variationen zwischen Klassik, Jazz und Elektronik ausgesetzt und auf Schumanns Dichterliebe-Zyklus den Jazzsänger Mark Ledford und den Art-Rock-Performancekünstler David Moss losgelassen.
In der Jazzwelt insgesamt aber stoßen Projekte wie jene Wagner-Bearbeitung bis heute auf skeptische Ohren. Galt der „schwarze“ Jazz doch geradezu als eine Art Gegengift zu den üppig durchkomponierten Musikdramen des glühende Antisemiten – gerade auch für deutsche Musiker. Deutliche Worte zum Verhältnis von freier Improvisation und Gesamtkunstwerk fand im vergangenen Jahr die Zeitschrift Jazzthetik: „Wagner und Jazz: Darf man das jetzt wirklich? Nie und nimmer.“
Denn zum 200. Geburtstag von Hitlers Lieblingskomponist wird nun eben auch hierzulande mit der Verjazzung des Umstrittenen experimentiert. So hat sich etwa der Bassist Dieter Ilg nach dem – mit einem Jazz-Echo prämierten – Verdi-Projekt „Otello“ nun Wagners „Parsifal“ gewidmet: Die bombastische Oper spielte er mit einem Jazz-Piano-Trio ein.
Noch nicht auf Tonträgern erschienen sind die Wagner-Projekte der in Köln lebenden Jazz-Saxophonistin, Komponistin und Bandleaderin Angelika Niescier. Gemeinsam mit der Sopranistin Maria Jonas, spezialisiert auf Alte Musik, und der Popmusikerin Niobe hat sich Niescier bereits im Herbst mit der Figur der Kundry aus „Parsifal“ – „der komplexesten Frauenfigur Wagners“ – musikalisch auseinandergesetzt. Das Ziel: Wagner zu „entfesseln“ durch die ungewöhnlichen Perspektiven dreier „genrefremder“ Frauen.
Für die Deutsche Welle hat Niescier ihre Kundry-Erkundungen für das 12-köpfige German Women’s Jazz Orchestra arrangiert. „Wagner in America“ heißt das Stück für Solo-Sopran und Jazz-Orchester, das vor drei Wochen im Washingtoner National Museum of Women in the Arts uraufgeführt wurde und im September auf dem Bonner Beethovenfest zu hören sein wird.
Ausdrücklich nicht von der Wagner’schen Komplexität einschüchtern lassen hat sich schließlich auch der Jazzschlagzeuger Eric Schaefer, bekannt vielleicht als Mitglied von Michael Wollnys Trio [em]. „Who is afraid of Richard W.?“ heißt seine Wagner-Auseinandersetzung, die explizit keine „komplexe Musik“ sein will, sondern „wieder einfach Bumm-Tzzz“. Schaefer setzt auf die subversive Kraft des Jazz, auf seine Fähigkeit, Totalitäres – und in diesem Fall das „grotesk Monumentale“ – zu brechen und einen neuen Standpunkt zu finden, der „Wagner wieder möglich macht“.
Mehr noch: Mit deutlichen Anleihen bei Dubstep, Hip-Hop und überhaupt elektronischer Musik will Schaefer Wagner vom Grünen Hügel entführen – in den Club. Die Melodien seien halt so „flashy“, lässt Schaefer wissen, da seien die Ideen zur Umsetzung der ihnen innewohnenden Emotionen und Dramaturgien sofort gekommen.
Und so bereiten wabernde Orgel und sphärische Syntheziserklänge im Opener „Prelude for a Prelude“ den Boden für eine darüber schwebende West-Coast-Jazz-Trompete, wird das „Lohengrin-Vorspiel“ in die Psychedelik der 1970er überführt, Walküren reiten über schweren Dub und Siegfried rüstet sich im Reggae-Gewand zum Kampf.
Hören kann man Schaefers – durchaus mal bis in käsigsten James Last’schen Happy Sound ausbrechende – Wagner-Entführung am Sonntag: auf dem Jazz Open des Jazzbüros in der Musikmuschel in Planten un Blomen. Neben Schaefer und seiner Band The Shredsz stehen unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt neun weitere Acts auf der Bühne.
Den Auftakt machen am Samstagnachmittag mit dem Hamburger KBP-Trio die Jugendjazzpreisträger des letzten Jahres. Zu hören gibt es von Bassist Dominik Kylies, Keyboarder David Baaß und Schlagzeuger Matthias Peterasen klassischen Piano-Jazz ebenso wie von Esbjörn Svensson inspirierte zeitgenössische Hybride aus Jazz, Funk, Fusion und Rock.
Das Quartett Dagefoer um den Gitarristen und Komponisten Hinrich Dageför spielt anschließend Songs von Abbey Lincoln und Nick Drake, klassische Chansons und Eigenkompositionen. Gerade mit einem Jazz-Echo ausgezeichnet wurde Gitarrist Giovanni Weiss, der mit seiner Band Django Deluxe Django Reinhardts Erbe aktualisiert. Außerdem trifft am Samstag die NDR Bigband auf den Briten Michael Gibbs, der als „Composer in Residence“ sein Programm „That Was Then, This Is Now“ präsentiert. Den Abend beschließt das Daniel Stelter Quartett mit seinem aus spontan entworfenen Skizzen entstandenen Programm „KrikelKrakel“.
Am Sonntag ist dann der Pianist und Komponist Mischa Schumann mit seinem neuen Sextett Schumannize zu hören, bevor der Schweizer Posaunist Christophe Schweizer die Saxophonistin Wanja Slawin und den Schlagzeuger Christian Lillinger sowie den Bassisten Giorgi Kiknadze zum Projekt Young, Rich and Famous einlädt. Danach stellt sich die Sängerin Joscheba Schnetter nach Auftritten mit Nils Landgren, Stefan Gwildis oder Ina Müller erstmals selbst mit Band vor. Zum Abschluss trifft schließlich das Gabriel Coburger Quintet auf den Trompeter Claus Stötter.
Noch mal zurück zum düster dräuenden Gewölk: Davon wird das Jazz Open vermutlich nicht ganz frei sein. Was aber nicht an Wagner liegt, sondern schlicht am Wetter.
■ Sa, 22. 6., und So, 23. 6., jeweils ab 15 Uhr, Musikmuschel in Planten un Blomen, Tiergartenstraße