Verkaufen, auch sich selbst

Gut ausgebildet, extrem motiviert, hoch flexibel – und arbeitslos. Drei Frauen, drei Karrieren und eine Frage: Wie geht es jetzt weiter?

PROTOKOLL CLAUDIA HEMPEL

Anne S., 55, Filialleiterin, seit 7 Monaten arbeitslos

Meine Mutti hat mir immer erzählt, ich bin ein Sonntagskind. Ich habe jetzt gerade vor kurzem herausgekriegt, dass ich eigentlich ein Samstagskind bin. Mit 55 Jahren habe ich das gemerkt. Und ich habe immer gedacht, ich bin ein Sonntagskind und deshalb habe ich immer Glück. 55 Jahre hat mir meine Mutter etwas Falsches erzählt.

Jetzt bin ich schon sieben Monate arbeitslos, so was kannte ich gar nicht. Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, immer im Warenhaus. Das war ein Kindheitstraum. Meine Eltern waren entsetzt, als ich denen erzählte, ich will Verkäuferin werden. 1965, wer wurde da schon Verkäuferin? Das waren die, die es halt nicht so draufhatten. Ich sollte Feinmechanikerin werden oder Buchhändlerin, aber ich habe nie groß gelesen. Bei uns in der Klasse wurden viele Friseuse oder Chemiefacharbeiter, das war der Trend. Ich bin aber stur geblieben, hab gesagt, nein, das will ich nicht machen, und hab mich heimlich bei uns im Kaufhaus beworben.

Als ich kaum ein halbes Jahr mit der Lehre fertig war, kam mein Chef und sagte: Fräulein F. – ich hieß damals F. –, wollen Sie nicht die Abteilung hier führen und leiten? Ja, sag ich, das könnte ich eigentlich machen. Ich habe die Abteilung übernommen, war verantwortlich für Foto/Optik und Uhren/ Schmuck, das gehörte zusammen. Ich war erst 19, wenn man sich das mal überlegt, so eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Mit den Mitarbeitern gab es schon oft Probleme. Es war ja so, dass es in der DDR nicht viel gab, im Warenhaus aber gab es alles. Sie mussten nur wissen, wann. Meine Verkäufer waren oft nicht am Arbeitsplatz, die sind den ganzen Tag im Haus herumgeschwirrt, um sich irgendwelche Sachen zu beschaffen. Die Arbeitsmoral war kläglich. Bei schönem Wetter wussten wir schon, welche Mitarbeiter den Krankenschein brachten, weil sie ihren Garten in Ordnung bringen mussten, so war das.

Sie hatten natürlich, wenn Sie früher im Handel gearbeitet haben, viele Vorteile, alle Waren, die es sonst nicht gab, die hatten Sie. Sie konnten sich alles besorgen, was sonst knapp war, Geschirr, eine Schrankwand, einen Kühlschrank … kein Thema. Dadurch entstand ein riesengroßer Bekanntenkreis, weil jeder sagte: Kannst du mir nicht mal den guten Wein besorgen oder einen schicken Mantel oder einen Teppich?

Ich bin auch ganz gut über die Wende gekommen. Ich hatte schon Angst, dass man Leute bei uns entlässt, aber der neue Chef fragte mich, ob ich nicht die Juwelierwarenabteilung übernehmen wolle, und da habe ich natürlich gleich zugesagt. In dieser Zeit habe ich eigentlich die Marktwirtschaft gelernt, das hat mich bis heute geprägt. Da habe ich kurioserweise auch kennen gelernt, was es überhaupt heißt, zu arbeiten. Das ergebnisorientierte Arbeiten kannten wir zu DDR-Zeiten ja nicht. In der Marktwirtschaft wird alles analysiert. Sie kommen früh und müssen sich überlegen, was machen Sie, damit der Kunde kauft. Der braucht nichts, und trotzdem soll er kaufen. Das ist ja der Unterschied zur DDR, dort haben Sie die Bedürfnisse der Kunden befriedigt, jetzt müssen Sie die Bedürfnisse wecken.

Ich bin dann erst einmal ein halbes Jahr in den Westen geschickt worden. Wir sollten dort lernen. Wir waren zu viert aus dem Osten, vier Abteilungsleiter, also wir hießen Abteilungsleiteranwärter, wir hatten ja noch keine Arbeitsverträge. Es gab einen Pausenraum, und dort haben wir immer zu viert gefrühstückt. Eines Tages lag ein Flugblatt auf dem Tisch, da stand drauf, dass es besser wäre, wenn wir die Mauer wieder bauten. Die haben uns gehasst, und wir konnten damit überhaupt nicht umgehen. Sie hatten einfach Angst um ihren Arbeitsplatz, heute versteh ich das. Damals war mir das überhaupt nicht klar, warum die so sind. So etwas kannten wir ja gar nicht, Angst um den Arbeitsplatz, das gab es ja gar nicht bei uns.

Nach einer Weile kam der Chef zu uns und sagte, ich habe morgen frei, hier haben sie den Schlüssel. Morgen können Sie beweisen, dass sie auch schon selbstständig arbeiten können. Und da komme ich nun mit meinen Kollegen, also den drei anderen Ostfrauen, auf Arbeit, und keiner war da. Plötzlich erfuhren wir, heute ist in diesem Kaufhaus Streik. Ja, wir aber mussten ja, sonst hätten wir nie im Leben einen Anstellungsvertrag gekriegt. Da waren wir Streikbrecher, standen da mit dem Kaufhauschef im Laden und haben verkauft. Wir wussten überhaupt nicht, wie wir uns verhalten sollten, das stand in keinem Lehrbuch. Am nächsten Morgen habe ich zu dem Abteilungsleiter gesagt, Sie hatten ja gestern Glück, Sie hatten ja frei. Da schaut der mich an und sagt, das lernen Sie auch noch.

Es war eine sehr bewegte Zeit, ständig Hochs und Tiefs. Ich habe eine ganze Menge über mich selbst gelernt, auch dass ich groß bin. Ich bin ja 1,78, und zu DDR-Zeiten bin ich deshalb immer in geduckter Haltung gegangen, weil ich eben so groß war, es gab ganz wenig große Menschen, und mit der Marktwirtschaft war die Größe plötzlich etwas Entscheidendes. Das war ganz kurios. Jeder will groß sein. Jeder geht gerade, und wenn sie mal auf Schulungen sind – alles große Menschen. Die kleinen Menschen haben von vornherein ein Handikap, das war früher zu DDR-Zeiten nicht, und da hab ich gedacht, Mensch, du bist groß, jetzt kommt deine Zeit.

Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, kriegte ich einen Chef, und der war kleiner. Da hatte ich nichts zu lachen. Der hatte damit ein Problem. Ich habe immer flache Schuhe angezogen, wenn ich zu dem ins Zimmer musste. Ich dachte mir, man muss ja die Männer nicht verärgern, man muss das ja nicht von vornherein provozieren.

Ich habe mich auch anders gekleidet, viel Schmuck, schicke Sachen. Mein Mann ist damit überhaupt nicht klargekommen. Ich hatte plötzlich ein ganz neues Selbstbewusstsein auch zu Hause. Für meinen Mann war das eine große Umstellung. Mein Leben veränderte sich rasant, ich durfte plötzlich jeden Monat mit dem Flugzeug nach Köln fliegen, dort machten wir unsere Einkäufe für die Filiale. Ich kam nicht mehr pünktlich nach Hause, musste auch mal länger arbeiten. Daran ist unsere Ehe zerbrochen. Ihm fehlte das Verständnis. Und dann war da noch die Eifersucht. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und die Scheidung eingereicht.

Dann sollte ich versetzt werden, doch da ich gerade in Trennung lebte, hab ich gesagt, ich kann jetzt nicht von zu Hause weg, mein Sohn ist noch in der Schule. Wenn ich da in den Westen gegangen wäre, dann hätte ich doch das Sorgerecht verloren.

Ein Jahr später kam dann der Personalabbau, und weil ich damals in C. geblieben bin, hat es mich getroffen. Ich wurde entlassen. Das war ein Schlag ins Gesicht. Ich habe ja für das Haus gelebt, ich habe meine Arbeit gut gemacht, wurde nie kritisiert, im Gegenteil. Ich hätte nie gedacht, dass es mich trifft. Eine Viertelstunde nachdem ich meine Kündigung hatte, bin ich aus dem Haus gegangen, habe vorher meinen Schreibtisch ausgeräumt und habe das Haus nicht mehr betreten. Dann hatte ich zwischendurch immer mal so kurzfristige Sachen, mal im Baumarkt, mal in einem andern Kaufhaus, aber das war nie eine Festanstellung. Seit einem Dreivierteljahr geht aber gar nichts mehr.

Auf dem Arbeitsamt haben sie mir gesagt, ich soll mich selbstständig machen. Na hören Sie mal, mit 55 mach ich mich doch nicht selbstständig! Am Ende hat mir die Bearbeiterin dann die Ohren vollgejammert, wie schwer es doch eigentlich für sie im Arbeitsamt ist, wie schrecklich sie leidet. Die viele Arbeit und so wenig Leute.

Ich bewerbe mich bundesweit. Ich hätte kein Problem, woanders sesshaft zu werden. Ich hab doch jetzt alle Möglichkeiten, kann mich frei bewegen, habe kein kleines Kind, hab keinen Mann, der sagt, das kannst du nicht.

Karin A., 48, Vertriebsleiterin, seit 13 Monaten arbeitslos

Es gibt Leute, die haben schon dreihundert Bewerbungen geschrieben. Das hab ich nicht. Ich hab allerdings eine sehr gute Quote, also, wenn ich mich bewerbe, werde ich sehr oft zu einem Gespräch eingeladen. Was nicht heißt, dass ich immer hundertprozentig für den Job infrage komme, viele sagen auch, dass ich einfach einen interessanten Lebenslauf habe, weil ich mich so nach oben gearbeitet habe: vom Sachbearbeiter zum Vertriebsleiter. Und immer in der IT-Branche. Auch Headhunter sagen: Das ist ein guter, kontinuierlicher Lebenslauf.

Jetzt wird es aber komisch. Seit über einem Jahr habe ich eine Lücke in meiner Karriere, die sich einfach nicht schließt. Und dann habe ich vor kurzem noch einen richtigen Schlag ins Gesicht bekommen, was meine Aussichten auf einen neuen Job angeht.

Übers Arbeitsamt konnte ich an einem Business-Englisch-Kurs teilnehmen. Allerdings hat der mein gesamtes Weltbild infrage gestellt. Wir sollten in einer großen Runde über das Thema Frauen in Führungspositionen diskutieren, wir teilten uns auf in Pro und Contra. Ich saß da plötzlich mit zwei anderen Leuten auf der Pro-Seite, und alle anderen waren Contra. Und dann kamen da Argumente, ich glaub, ich habe eine Woche von nichts anderem gesprochen, Frauen sind nicht so logisch, können nicht so gut mit Zahlen umgehen, können nicht so abstrakt denken und lauter solche Dinge, wo ich mir gedacht habe, das haben wir seit Alice Schwarzer alles hinter uns gelassen. Ich hab immer gedacht, das stirbt irgendwann aus. Nein, diese Argumente sind da wie Pilze unbemerkt nachgewachsen in den Köpfen von 25- bis 35-jährigen Frauen und Männern. Da existiert auf einmal wieder ein Denken, das ist so schlimm wie zu der Zeit, als ich zehn war.

In dem Kurs war ein Einkaufsleiter, der sagte, Frauen gehören nach Hause, und die sollen sich um die Kinder kümmern, weil die Kinder zur Mutter eine ganz andere Beziehung haben. Und die anderen haben ihm zugestimmt. Auch die Jüngeren. Wenn alle so denken, habe ich nie wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Ich war nie sehr selbstsicher, bin aber immer so aufgetreten. Leute, die mich nur flüchtig kannten, dachten: Die strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Abends hab ich zu Hause gesessen und meinem Mann was vorgejammert. Ob ich das kann? Nein, ich kann das nicht … Wie Frauen halt so sind. Als ich schon eine Weile erfolgreich im Vertrieb arbeitete, konnte ich zwar meine Schreibmaschinen anpreisen und dabei reden wie ein Wasserfall, aber wenn ich dann oft stundenlang in Vorzimmern warten musste, hab ich mich nicht getraut, die Sekretärin anzusprechen, die sowieso gerade einen Kaffee gekocht hat, und die zu fragen, ob ich auch was trinken darf. Es hat lange gedauert, bis ich da mal meinen Mund aufgekriegt hab.

Ich bin sehr ehrgeizig. Ich hab immer wesentlich mehr gearbeitet als mein Mann. Aber das hat ihn nicht gestört. Von ihm hab ich mir sehr viel an Ruhe abgeguckt. Ich war früher supernervös und immer gleich auf hundertachtzig und eigentlich sehr unbeherrscht. Er hat mir sehr geholfen. Wir sind seit 21 Jahren zusammen.

Meinen Mann habe ich in der ersten Firma, in der ich gearbeitet habe, kennen gelernt. Er war damals Kopiergerätetechniker und arbeitete auch immer lange. Ich war allein und bin irgendwann mal um zehn Uhr abends durch die Firma gestreift, und er saß vorm Kopierer und reparierte den. Da sag ich zu ihm, ich hab so einen Hunger, willst du nicht mit mir essen gehen? Und er sagte: Das könnte ich eigentlich machen. (Als Frau allein essen zu gehen ist das Unkommunikativste und Langweiligste, was man sich vorstellen kann.)

Ich hab viel gelernt in der letzten Zeit, es ist verdammt schwierig, sich als Frau um eine Führungsposition zu bewerben. Es bringt auch wenig, sich um den Job eines Key-Account-Managers zu bewerben, der von der Position her unter dem ist, was ich zuletzt gemacht habe. Die Unternehmen wollen niemand, der sich um eine Position verschlechtert. Die wollen jemand haben, der von der gleichen Ebene kommt oder der sich um eine Position verbessert. Die sagen sich, es bringt nichts, Sie jetzt bei uns einzustellen, bei der nächsten Gelegenheit sind Sie doch sowieso wieder weg.

Ich hab unten angefangen, Einkauf, Verkauf, alles Mögliche. Und immer wenn es was Neues gab, hab ich gesagt, ja klar, mach ich. Ich hab immer getan, was mein Chef gepredigt hat. Ihr müsst am Tag acht Kunden besuchen! Das sagte er, damit die Leute wenigstens fünf oder sechs besuchten. Ich hab natürlich wirklich acht besucht und hatte ein superschlechtes Gewissen, wenn es mal nur sieben waren.

Es gab einen Starverkäufer, der machte 1 Million Umsatz im Jahr. Da hat man dann immer ehrfürchtig von ihm gesprochen. „Herr B. macht eine Million im Jahr.“ Das war das eine, woran man gemessen wurde, und das andere war der so genannte Rohertrag, was bleibt zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. Im ersten Jahr, als ich im Außendienst war, hatte ich zwar nur ein Dreiviertel vom Herrn B., was den Umsatz betraf, aber ich hatte genauso viel an Rohertrag erwirtschaftet.

Damit war ich nun der absolute Senkrechtstarter. Ich habe wahnsinnig gut verdient. Die Firma expandierte, hat nach der Wende auch Filialen in den neuen Bundesländern aufgemacht. Es lief supergut. Aber plötzlich kamen die Gehälter immer später, und ich dachte noch, dass die Firma Pleite macht, das kann gar nicht sein. Davon waren wir alle felsenfest überzeugt. Doch dann überstürzten sich die Ereignisse, und ich stand auf einmal ohne Arbeit da.

Durch einen Freund bekam ich schnell eine gute Stelle in einem großen japanischen Elektronikkonzern. Die erste Zeit dort bin ich vor Ehrfurcht fast auf den Knien gekrochen, weil ich mir gedacht habe, in dieser Weltfirma müssen nun wirklich die Cracks sein. Hier sind die Leute, die alle nur Einsernoten hatten in ihrem Leben und die superguten Studienabgänger, hier kannst du echt was lernen. Je mehr Leute ich aber kennen lernte, desto enttäuschter wurde ich. Dann wurde umstrukturiert, und von heute auf morgen war ich gefeuert.

Ich war völlig fertig. Ich bin zum Arbeitsamt gegangen und hab mich ganz offiziell arbeitslos gemeldet. Wenn mir früher einer gesagt hätte, du bist in einem Jahr immer noch arbeitslos, dann hätte ich mich wahrscheinlich gleich erschossen.

Durch die Arbeitslosigkeit habe ich einen absoluten Bruch in meiner Lebensauffassung. Ich dachte, wenn du nur hart genug arbeitest, dann bringst du es weit. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich mal arbeitslos werden könnte. Woran ich merke, wie mich das mitnimmt? Das sind so Kleinigkeiten. Neulich standen bei McDonald’s fünf Autos, denen man ansehen konnte, dass sie Firmenwagen sind. Ich fahre vorbei, und auf einmal kriege ich eine Mordswut und denke: Wieso haben diese Arschlöcher einen Job und ich nicht? Ich weiß genau, die arbeiten nicht besser als ich. Oder ich steh an der Kasse, und die Kassiererin ist pampig, und ich will ihr sagen, wenn ihr der Job nicht gefällt, soll sie den Platz räumen für jemand, der Lust drauf hat. Ich weiß, das ist ungerecht, aber meine Arbeitslosigkeit ist auch ungerecht. Verdammt noch mal. Arbeit war für mich immer Leben.

Marlene N., 27, Diplompädagogin, seit einem Jahr arbeitslos

Ich habe Erziehungswissenschaften studiert, und da gibt es zirka zwölf Prozent Männer, der Rest sind Frauen. Das ist eindeutig ein Frauenstudium, schlecht bezahlt und dann der typisch soziale Touch. Das ist dann auch nach dem Studium de facto so, dass Männer in meinem Bereich besser einen Job kriegen. Wer männlich ist, hat seinen Job eigentlich sicher.

Vor allem die Jugendhäuser suchen oft Männer, sie sagen, dass sie gern jemand Männliches hätten, weil Männer mehr Autorität Jugendlichen gegenüber haben, die schwer erziehbar sind.

Ich habe mich in Reutlingen beworben bei einer Organisation, die sich um ausländische Jugendliche kümmert, also vor allem Schulschwänzer, die haben speziell jemand Männliches gesucht, haben das aber beim Arbeitsamt zu sagen vergessen. Ich hab mich beworben, und sie haben gesagt, das sagt Ihnen zu, was ich da in meiner Bewerbung geschrieben habe, sie laden mich mal zum Vorstellungsgespräch ein. Dann komm ich dorthin, und es hieß, ja, also wir müssen Ihnen ehrlicherweise sagen, wir suchen eigentlich einen Mann. Es haben sich aber leider sehr wenige Männer beworben, das ist ja klar, weil es kaum Männer gibt, die das studiert haben, außerdem war es auch bloß ein Halbtagsjob, das ist ja für Männer sowieso nicht so reizvoll. Dann haben sie gesagt, sie machen jetzt zwar das Vorstellungsgespräch mit mir, aber wenn sich ein Mann auf die Stelle bewirbt, der im Vorstellungsgespräch genauso abschneidet wie ich, wird der Mann bevorzugt. Das haben die mir wirklich so ins Gesicht gesagt, und so kam es dann auch.

Ich hab gedacht, in dem Bereich, auf den ich mich spezialisiert habe, Familienhilfe/Familienerziehung, da sieht es mit Berufschancen immer sehr gut aus. Ich habe damals zu Beginn meines Studiums extra in die Zeitung geguckt, hab geguckt, in welchen Bereichen wird jemand gesucht, und darauf hab ich mich dann spezialisiert. Das ist jetzt fast sechs Jahre her. Dann hieß es, also sozialpädagogische Familienhilfe, da sucht man immer Leute, weil es dort niemand lange aushält, die Leute kriegen ziemlich schnell ein Burn-out-Syndrom, und deswegen ist da ständiger Personalwechsel, da wird immer jemand gesucht. Ich dachte, super, das liegt mir sowieso, Familienhilfe, also Familienpädagogik und so, mach ich das als Schwerpunkt.

Erst nach dem Studium habe ich festgestellt, dass es gar keine Stellenanzeigen mehr gibt. Es gab bei uns im Fachbereich ein schwarzes Brett mit Stellenangeboten aus Zeitungen für ganz Deutschland. Die ganzen Semester über hing es voll. Aber als ich endlich mit dem Studium fertig war, war das Brett leer. Kurz nach dem Examen dachte ich noch, na gut, vielleicht hat die Sekretärin oder die Dozenten es gerade erst abgehängt und hängt es demnächst wieder auf. Ich bin extra ein paar Tage später noch mal zur Uni gefahren, doch das Brett war immer noch leer.

Dann hab ich angefangen herumzutelefonieren, Jugendämter und andere Institutionen, die auch Familienhilfe anbieten. Da hieß es, ja, alles ist sehr reduziert wurden, es wurde sehr viel gestrichen, man hat da sehr viel Geld eingespart. Ich habe ungefähr hundertfünfzig schriftliche Bewerbungen verschickt, ich hab mich dann auch als Erzieherin beworben, als Tagesmutter, Kindermädchen … Im Laufe der Zeit habe ich dann immer mehr Abstriche gemacht. Teilweise habe ich mich auch blind beworben. Einfach eine Mappe hingeschickt. Aber das wurde mir mit der Zeit zu teuer. Die Absagen habe ich alle gesammelt. Ein Arbeitgeber hat mir sofort einen Personalbogen zugeschickt. Das war eine Sekte, die mich als Missionarin einstellen wollte.

Dann habe ich mich als Kassiererin, als Putzfrau, als alles beworben. Alles Absagen. Bei Europcar als Sekretärin. Zweitkraft im Kindergarten, obwohl ich ja Diplompädagogin bin. Oft habe ich gerade wegen meinem Abschluss den Job nicht bekommen. Wie? Als Putzfrau wollen Sie arbeiten, mit Diplom? Da nehmen wir lieber jemand anders. Die sagen sich natürlich, was will die bei uns, die verkauft sich ja extrem unter Wert. Edeka, Neukauf, für jede Stelle, die die frei haben, hab ich mich beworben, ob im Putzbereich oder im Sekretariatsbereich, als Verkäuferin, das war mir alles egal.

Ich hab sogar bei der Erotikline angerufen und gefragt, was die so für Bedingungen haben, also die klassischen 01 90er-Nummern. Ich hätte die Männer möglichst lange am Telefon halten müssen und hätte pro Minute Geld gekriegt, ich glaube das waren 12 Cent pro Minute. Mir war völlig freigestellt, was ich mit denen mache, ich kann mit denen auch über das Wetter schwätzen, sagten die, ob die Männer das allerdings wollen, ist die andere Frage.

Fast hätte ich das gemacht. Das hätte sich aber finanziell nicht gelohnt, ich hätte mich selbst krankenversichern müssen, also ich wäre selbstständig gewesen, auf Gewerbeschein. Ich hätte dann eine bestimmte Menge verdienen müssen, um überhaupt die Krankenkassenbeiträge reinzubekommen. Dann war ich mir nicht so sicher, ob ich talentiert genug bin, die Männer so lange am Telefon zu halten, bis meine Krankenkassenbeiträge bezahlt sind.

Und dann hab ich mich als Vertreterin für Spielwaren beworben. Das war so pädagogisch sinnvolles Spielzeug für Kindergärten, Tagesstätten und Schulen. Es gab da ein ganz scharfes Auswahlverfahren, da waren noch 25 andere Bewerber, aber ich kam in die letzte Runde. Da gab es ein richtiges Vorstellungsgespräch, es wurden da auch die Gehaltsvorstellungen abgefragt, und ich hab gesagt, ich würde gern ein möglichst hohes Fixgehalt haben und die Provision dafür niedriger, also ein Fixgehalt von 1 800 Euro wäre mir recht und der Rest dann Provision. Der Typ war so entsetzt über meine Forderung, der sagte: Wie kommen sie auf die Idee, so einen hohen Betrag zu verlangen? Ich hab ihm geantwortet, hören Sie, ich bin Diplompädagogin, ich hab Ahnung von Spielzeug, von den verschiedenen Altersstufen der Kinder, weiß auch, wie man Problemkinder mit Spielzeug fördert. Ich kann deshalb das Spielzeug auch gut verkaufen. Sie können mich doch nicht wie eine Kellnerin bezahlen. Ein paar Tage später krieg ich einen Anruf. Ja, Frau N., Sie kamen für uns sehr arrogant rüber mit Ihrer Gehaltsforderung. Solch eine arrogante Person könnten sie leider nicht in ihrem Betrieb einstellen.

Ich wollte eigentlich nicht studieren, da hatte ich immer Angst davor. Es war nicht leicht, die Entscheidung, aber ich habe es geschafft, bin Diplompädagogin und habe mit „sehr gut“ abgeschlossen. Ich war ja so stolz auf mich. Doch leider bringt mir das nix. Ich hatte schon richtig geplant: ein halbes Jahr arbeiten, und wenn die Probezeit dann vorbei ist, ein Kind. Das ist jetzt genau ein Jahr her.

Den einzigen Job, den ich mal hatte, war als Kassiererin im Wal-Mart, aber nur auf 400-Euro-Basis. Der Vertrag war auf drei Monate befristet. Als ich den Vertrag unterschrieb, da wusste ich bereits, ich bin schwanger. Durch die Schwangerschaft musste ich aber öfter aufs Klo, ich musste öfter mal weg von der Kasse. Das ist eine sehr unangenehme Position, man musste sich über dieses Kassenteil und das Scannerband so drüberbeugen, und mein Bauch ist am Anfang sehr schnell gewachsen. Es war aber Pflicht, dass man als Kassierer in die Wagen reinguckt, weil es keine Spiegelsysteme gab. Für mich war das ab einem bestimmten Punkt sehr schmerzhaft, und es fiel mir sehr schwer, mich darüberzulehnen, um zu gucken, ob da noch was drinliegt. Ich hab dann gesagt, ich schaff das einfach nicht mehr, jeden Wagen zu kontrollieren. Ich brauch auch öfter Pause. Das hat denen natürlich nicht gepasst. Irgendwann bin ich hin und hab gesagt, ich bin schwanger, für mich gilt jetzt das Mutterschutzgesetz, ihr könnt mich nicht mehr bis neun Uhr abends arbeiten lassen. Da sagten die mir: Also, Frau N., das ist ja nur ein 400-Euro-Job, da gilt das Mutterschutzgesetz nicht. Schauen Sie mal, hier ist der Gesetzestext, hab ich gesagt, hier steht es. Aha, na, stellen Sie sich nicht so an. Klar, dass die den Vertrag dann nicht verlängert haben.

Wann sieht man jemals eine schwangere Kassiererin? Ich habe noch nie eine schwangere Kassiererin gesehen. Das hat seinen Grund. Das ist echt ein sehr schwangerschaftsunfreundlicher Job. Ich habe es nur wegen dem Geld gemacht. Ich hatte auch nicht viel Kontakt zu den anderen Kassiererinnen, denn jeder hat ja versetzt Pause gemacht, wir saßen auch alle mit dem Rücken zueinander, das war nicht sehr kommunikationsfördernd. Ich hatte nur Schiss vor der Kasse, ich war noch nie so gut in Mathe, und wenn die Leute dann das Geld so komisch geben und ich dann dasitze und das nicht schnell genug ausgerechnet habe, dann wird es schon kompliziert. Normalerweise rechnet die Kasse das Rückgeld ja selbst aus, aber wenn du das schon eingegeben hast und den Leuten danach noch einfällt, halt, ich hab hier noch 2 Cent, dann musst du das im Kopf rechnen. Zweimal ist es mir tatsächlich passiert, dass ich die Kassenaufsicht holen musste, weil ich das nicht schnell genug im Kopf ausgerechnet hatte, das war mir superpeinlich. Da hocke ich da mit Diplom und kann die einfachste Matheaufgabe nicht rechnen.

Jetzt bin ich im achten Monat schwanger, ich habe aber keine Zukunftsangst. Ich sage mir immer, zur Not muss ich halt Sozialhilfe beantragen, ich habe ja Sozialpädagogik studiert, ich kenne da das Recht ganz gut. Wir haben auch, als wir hier in die Wohnung gezogen sind, darauf geachtet, dass die Quadratmeterzahl vom Sozialamt bezahlt werden würde, wenn wir doch mal in die Sozialhilfe rutschen würden. Das kann ja passieren, wenn mein Mann arbeitslos werden sollte und Hartz IV für uns greift, dann wollten wir wenigstens die Wohnung behalten dürfen.

Ich denke, mein Studium hatte auch den Vorteil, dass ich mich mit solchen Gesetzen nun genau auskenne und alle Bestimmungen einhalten kann.

CLAUDIA HEMPEL, Jahrgang 1966, lebt und arbeitet als freie Journalistin und Filmemacherin in Dresden. Unter dem Arbeitstitel „Zurück auf Los“ hat sie insgesamt 13 Frauen in ganz Deutschland besucht und mit ihnen über ihre Erfahrungen in der Arbeitslosigkeit gesprochen. Die Interviewten waren alle extrem gut ausgebildet, hoch flexibel und trotzdem ohne Job. Momentan sucht die Autorin einen Verlag, der die Interviewprotokolle in voller Länge als Buch veröffentlicht