: Jede Menge Gender
„Tintenfischalarm“ (Panorama) verfolgt den Kampf gegen die Zwei-Geschlechter-Norm. Dank der Hauptperson mit oberösterreichischem Kampfgeist und Dialekt ein mitreißendes Unternehmen
Alles begann mit einem Rundfunkinterview beim „Jugendzimmer“ einer Sendung des österreichischen Radiosenders FM4. Dort meldete sich im Jahr 2002 Alexi aus Oberösterreich, erzählte ihre Geschichte und outete sich als intersexuell.
Intersexuell bezeichnet man einen Personenkreis, der mit nicht eindeutigen körperlichen sexuellen Differenzierungen geboren wurde. Medizinisch gängige Praxis ist es, intersexuelle Kinder ab der 6. Lebenswoche chirurgisch und hormonell einem Geschlecht zuzuweisen. Die Intersexuellen-Aktivisten sehen in diesem Zwang zur Norm des Zwei-Geschlechter-Systems eine Menschenrechtsverletzung. Denn intersexuelle Kinder werden so als Forschungsobjekt missbraucht, müssen lebenslänglich Hormone einnehmen und bis zu hundert gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Die Folgen dieser Zwangsgeschlechtszuweisung führen zu vielfältigen Diagnosen, und Suizidversuche sind eher die Regel als die Ausnahme.
Durch den internationalen Erfolg von Jeffrey Euginides Hermaphroditen-Roman „Middlesex“ ist das Thema ins öffentliche Bewusstsein gelangt – durch die Romanlektüre fand Alexi den Mut zum Outing.
Nach dem besagten Radiointerview begleitete Regisseurin Elisabeth Scharang Alexi drei Jahre lang mit der Kamera auf ihrer Identitätssuche. Alexi war nach der Geburt zuerst dem männlichen Geschlecht zugeordnet worden und auf den Namen Jürgen getauft, im Alter von zwei Jahren aber wurde sie als Mädchen klassifiziert. Penis- und Hodenamputation und weitere Operationen folgten. Ab dem 12. Lebensjahr fühlte sie sich „eigentlich als Missgeburt“. Im Verlauf der filmischen „Langzeitbeobachtung“ wird ihr bewusst, dass sie nicht länger als Frau leben will. Sie beschließt eine Transformation zum männlichen Geschlecht, aus Alexi soll also Alex werden. Dank Testosteron und anderer Maßnahmen kommt Alex seinem Ziel immer näher.
Im Film wird die komplexe Problematik zum großen Teil durchs Erzählen und das Gespräch verhandelt. Reisen bringen ein paar Landschaftsbilder und ein wenig Roadmovie-Atmosphäre in die sonst recht statische Dokumentation. Ein Höhepunkt ist die Reise nach San Francisco, wo sich Alex mit intersexuellen Künstlern und Aktivisten trifft und seine Utopie schon verwirklicht sieht.
Der Film lebt durch Alex, der durch seine gedankliche Klarheit, seinen unerschrockenen, unbedingt wahrhaftigen Umgang mit der Realität den Zuschauer in den Bann zieht. Der oberösterreichische Dialekt gibt seinen Lebensberichten zudem etwas sehr Lebendiges. Einzig die Regisseurin nervt ein wenig durch ihre allzu betuliche Vorgehensweise. Die kurzen Momente der Ruhe werden durch ihre besinnlichen Seufzer wie „Es ist alles so irreal jetzt“ unterbrochen, nachdenklich muss sie immer wieder aufs Wasser starren, Schnecken besprechen und Grashalme streicheln. Über diese Schwachstellen tröstet aber die kämpferische Hauptperson hinweg. Alex ist im Laufe der Dreharbeiten selbst zum Intersex-Aktivisten geworden.
CHRISTIANE RÖSINGER
„Tintenfischalarm“. Regie: Elisabeth Scharang. Österreich 2006, 107 Min. 12. 2., 20 Uhr, CineStar 7; 13. 2., 12 Uhr, CineStar 7; 16. 2., 15.30 Uhr, Colosseum; 18. 2., 17 Uhr, CineStar 7