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Archiv-Artikel

Wiener Winterschmutz

Wie füllt man die innere Leere auf? Ein Penner versucht’s mit viel Alkohol, zwei Schnöselfreunde mit Irrfahrten durch die Nacht: Michael Glawoggers „Slumming“ erzählt eine Geschichte in Gegensätzen

Der österreichische Regisseur Michael Glawogger wurde durch seine preisgekrönten Dokumentarfilme „Megacities“ (1998) und „Workingman’s Death“ (2005) berühmt. Sein Wettbewerbsbeitrag „Slumming“, ein Spielfilm, erinnert mit einer eher kühlen Bildsprache, interessanten Orten – oft leicht heruntergekommenen Wiener Lokalen – und einer pulsierenden Technofilmmusik an eben diese Filme.

Erzählt wird eine Geschichte in Gegensätzen: Da ist erst mal Franz Kallmann (Paul Manker), ein harter Alkoholiker und Penner, der durch die Straßen und Lokale eines winterlich schmutzigen Wiens streift, versucht seine Gedichte zu verkaufen, häufig laut mit sich selbst spricht und gern auch Leute anpöbelt. Er wirkt verloren, psychotisch vielleicht; kein lieber Obdachloser, sondern ein Unberechenbarer, ein verzweifelter Halbirrer, vor dessen plötzlichen Ausfällen man sich ein bisschen fürchtet und der einmal auch einen fliegenden Lokalhändler überfällt. Seine Gedichte handeln – darin ist er klassischer Existenzialist – vom Unterschied zwischen Furcht und Angst. Eigentlich will er sich tot saufen. In einem heruntergekommenen Lokal sitzt eine Frau, die ihn liebt, irgendwie, aber er ist viel zu sehr in seinem eigenen Wahnsinn drin, um auch nur mal länger mit ihr zu trinken. Selten blitzt plötzlich auch ein wenig Humor auf, wenn er einer Frau, die fragt „warum belästigen Sie mich?“, antwortet: „Weil ich Sie nicht mag!“

Die Gegenspieler Kallmanns sind Sebastian (August Diehl) und Alex (Michael Ostrowski), zwei gelangweilte, reiche Mittzwanziger, die zusammenwohnen. Sebastian hat noch nie gearbeitet. Die beiden cruisen mit einem teuren Auto durch Wien, treiben sich in billigen Lokalen herum, auf dass ihnen ihre Stadt wieder fremd, das heißt interessant werde. Sebastian hat auch das Hobby, sich mit Frauen zu treffen, die er im Internet kennen gelernt hat. Bei den Treffen fotografiert er sie versteckt zwischen den Beinen unter dem Tisch. An casanovahaften Eroberungen ist ihm nicht gelegen, fotografierend folgt er auch keiner Passion; eigentlich ist ihm nur langweilig und daran gelegen, seine innere Leere mit den Geschichten und Bildern der anderen zu betäuben.

Irgendwann sehen die beiden nichtsnutzigen Schnösel bei einer Fahrt durch die Nacht den Penner Kallmann auf einer Bank vor dem Bahnhof schlafen. Sie packen ihn in ihren Kofferraum und setzen ihn vor dem Bahnhof einer tschechischen Kleinstadt aus. Ein prima Spaß! Wenn der aufwacht, denkt der, der Bahnhof sei geschrumpft.

Der Film erzählt dann lange davon, wie Kallmann irgendwie wieder zurückkommt. Außerdem gibt es noch Pia (Pia Hierzegger), eine attraktive, auch nicht ganz glückliche, aber doch halbwegs erwachsene Volksschullehrerin, die irgendwann auf Sebastian trifft, und neben Herta (Maria Bill), der Trinkerin, die einzige positive Gestalt des Films ist.

„Slumming“ ist schon prima, stilistisch schön, in seinen Gestalten auch halbwegs glaubwürdig, aber manchmal hat man auch das Gefühl eines gewissen Gegensatzes zwischen den authentisch wirkenden Charakteren und dem Schauspiel, sodass manches plötzlich etwas theaterhaft wirkt. Es ist so ein Film, nach dem man nicht so recht weiß, wie man ihn finden soll. DETLEF KUHLBRODT

„Slumming“. Regie: Michael Glawogger. Österreich/Schweiz, 100 Min. 11. 2., 15 und 23.30 Uhr, Urania; 11. 2., 20 Uhr, International