: Das lukrative Geschäft mit der Abhängigkeit
Das Landgericht verhandelt derzeit einen drastischen Fall von Menschenhandel. Die zehn Angeklagten sollen vier Jahre lang russische Frauen ins Land geschleust haben. In Berliner Bordellen mussten sie angebliche Schulden abarbeiten
Vor dem Sitzungssaal 500 konnte man die Nervosität riechen. Die letzten Züge von der Zigarette wurden inhaliert, Stummel in eine Keksdose geschnippt. „Ich hab mit der ganzen Scheiße von meinem Mann nichts zu tun“, sagt eine ältere Frau und setzte sich auf die Zuhörerbank.
Seit gestern müssen sich sieben Männer und drei Frauen vor dem Landgericht Berlin wegen schweren Menschenhandels verantworten. Von 2001 bis 2005 sollen sie „in gemeinschaftlicher Handlung“ junge Frauen aus Russland nach Deutschland geschleust und zur Prostitution gezwungen haben, heißt es in der Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten einen Verstoß gegen das Ausländergesetz vor, außerdem seien die Opfer durch Misshandlung und Todesandrohung zur Weiterarbeit genötigt worden.
Die Angeklagten im Alter von 25 bis 50 Jahren sind unterschiedlich stark in die ihnen vorgeworfenen Vergehen verstrickt. Hauptverdächtig ist ein Ehepaar: der 33-jährige Deutsche Andreas P. und seine 25-jährige russische Frau Alena. Ihm werden 26 Anklagepunkte vorgehalten, ihr 24. Sie sollen die Frauen eingeladen, ihnen gefälschte Pässe besorgt und sich um die Betreuung in Berlin gekümmert haben. Dabei hätten sie 67.000 Euro durch die Vermittlung an Freier verdient, so die Staatsanwaltschaft. Beide verweigern die Aussage.
Mit der Aussicht auf eine lukrative Beschäftigung mit Verdiensten von bis zu 5.000 Euro monatlich seien die Frauen nach Deutschland gelockt worden, so die Anklage weiter. Hier habe man ihnen ihre Pässe abgenommen, ihnen alle „Außenkontakte“ verboten und sie durch Kontrollanrufe überwacht. Ihre angeblichen Schulden für die Überführung mussten sie daraufhin in Bordellen abarbeiten: 24 Stunden verfügbar mit etwa 7 Kunden pro Tag. Ihr Verdienst ging zu einem großen Teil auf die Angeklagten über, der Rest wurde für Lebensunterhalt, Arbeitskleidung und Präservative verwendet. Bei Widerspruch wurde den Opfern angedroht, sie nackt aufzuhängen oder ihnen den Kopf einzuschlagen.
Von den zehn Angeklagten äußerte sich – neben zwei schriftlichen Aussagen – einer mündlich. Er wisse weder, dass die „jungen Damen“ unfreiwillig als Prostituierte gearbeitet hätten, noch dass sie sich illegal in Deutschland aufhielten. Misshandelt habe er die Opfer auch nicht: „Ich bin kein Frauenschläger.“ Außerdem sei der Verdienst gerecht „fifty-fifty“ geteilt worden. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. MARIA DALDRUP