Allzeit bereite Mutterbrust

FEMINISMUS In Frankreich erzeugt Elisabeth Badinter große Aufregung mit ihrer Kritik am Mutterbild. Demnächst erscheint ihr Buch auch auf Deutsch

Zur antifeministischen Allianz rechnet Elisabeth Badinter auch Teile der Umweltbewegung

VON RUDOLF BALMER

Die Errungenschaften der Frauenbewegung werden von einer „reaktionären Allianz“ aus Muttermilchfanatikern, „grünen“ Industriekritikern oder Apologeten einer „naturgemäßen“ Erziehung und Ernährung infrage gestellt. Mit dieser These löste Elisabeth Badinter in Frankreich eine neue Feminismusdebatte aus.

Die französische Philosophin Elisabeth Badinter ist eine seit Jahrzehnten engagierte Feministin. Sie zieht in ihrem neuesten Buch eine ernüchternde Bilanz der Emanzipationsbewegung. Wenn es den Frauen bis in die 80er-Jahre gelungen war, neue Rechte zu erkämpfen, scheint sich das Rad seither gedreht zu haben. „Ein Kind, wenn ich will, wann ich will, mit wem ich will“, so lautete der Slogan des MLF (Mouvement de libération des femmes). Genau diese Entscheidungsfreiheit sieht Badinter vierzig Jahre später zusehends in Gefahr. Traditionelle Frauenbilder mit einer „natürlichen“ Mutterrolle im Mittelpunkt sind wieder im Trend, und den Frauen, die diesem Muster nicht entsprechen (wollen), wird ein schlechtes Gewissen eingebläut. „Weil die Mütter so mit Schuldgefühlen beladen werden, steigt in Frankreich die Zahl der Frauen, die sich in den Geburtsabteilungen fürs Stillen entscheiden, jedes Jahr um 2 Prozent.“ Auch der Antibabypillenkonsum ist rückläufig, rechnet Badinter vor, die ihre Argumente mit viel Statistik und Zahlen untermauert.

In zahlreichen Interviews hat sie seit dem Erscheinen ihrer Streitschrift betont, sie habe grundsätzlich nichts gegen die Muttermilch, ihr gehe es vielmehr darum, dass gewisse Kreise das Stillen als das einzig Wahre propagieren. Die freie Wahl werde so tendenziell durch eine moralische Pflicht ersetzt. Eine „gute“ Mutter nimmt dann das Stillen so ernst, dass sie rund um die Uhr nur für ihr Baby da ist. Dieses schläft dann womöglich aus praktischen Gründen auch gleich im Bett der Eltern.

Diktatur im Bett

Da beginnt für Badinter die „Diktatur“: „Das Stillen nach Bedarf, Tag und Nacht, wie es eindringlich empfohlen wird, hat zwei Konsequenzen, die sich auf die Paarbeziehung negativ auswirken. Nicht nur die Brust gehört während Monaten ausschließlich dem Baby, sondern auch das Bett.“ Eine solche fusionelle Beziehung dank einer allzeit bereiten Mutterbrust wird von der in Europa sehr aktiven US-amerikanischen Leche League und ähnlichen Organisationen sowie zahlreichen Medizinern und Betreuerinnen gleich in der Maternité begeistert als Ideal propagiert. Wie eine Rabenmutter muss sich da jede fühlen, die sich stattdessen für die Flasche und später für industrielle Babynahrung, für die Kinderkrippe und eine Fortsetzung der beruflichen Karriere trotz Kindern entscheidet.

Elisabeth Badinter macht als Verantwortliche des regressiven Drucks auf die Frauen eine „heilige reaktionäre Allianz“ von Kräften aus, die sich alle, wenn auch auf unterschiedliche Weise und mit diversen Interessen, auf den Mutterinstinkt und die Natur, respektive natürliche mütterliche Verhaltensweisen berufen: „Das starke Wiederaufkommen dieses Naturalismus, der das altbewährte Konzept des Mutterinstinkts ins Zentrum stellt, sein Loblied auf den Masochismus und die feminine Opferbereitschaft singt, ist die größte Gefahr für die Emanzipation der Frauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter.“ Kein noch so fieser Vorwand ist zu schlecht, um die Frauen zurück an den Herd zu verbannen.

Ähnlich der Leche League propagieren laut Badinter zahlreiche Pädopsychiater (und die WHO) das Stillen nicht nur als gesunde Ernährung, sondern quasi als einzige wahre Mutter-Kind-Beziehung. Viele Frauen, meint sie, gehen in die Falle und realisieren erst zu spät, dass sie das alte Schema „Mama zu Hause, Papa an der Arbeit“ reproduzieren. Gerade der an den Mutterschaftsurlaub anschließende Elternurlaub ermöglicht es in Frankreich am Arbeitsplatz eine Auszeit zu bekommen, ohne deswegen einen totalen Einkommensausfall zu erleiden. Die Rückkehr ins Berufsleben aber wird oft extrem schwierig.

Wie eine Rabenmutter muss sich da jede fühlen, die sich statt fürs Stillen für die Flasche entscheidet

Windeln waschen

Zur antifeministischen Allianz rechnet Badinter auch Teile der Umweltbewegung. Der Parteichefin der französischen Grünen, Cécile Duflot, die wie andere Naturschützer auch im Namen der Umwelt die Verwendung waschbarer Windeln statt Wegwerfprodukten fordert, wirft sie Naivität vor. Wenn Duflot sage, die Männer könnten ja auch Windeln waschen, sei dies weltfremd, denn in Wirklichkeit werden laut einer Studie des Nationalen Demografischen Instituts (Ined) auch heute noch 80 bis 90 Prozent der Hausarbeiten von den Frauen verrichtet.

Natürlich hat Badinter mit dieser Breitseite gegen die Befürworter einer „natürlichen“ Mutterschaft ebenso vehemente Reaktionen ausgelöst. Die von ihr kritisierte Kinderärztin Edwige Antier beispielsweise kontert, Badinter habe „zwei Züge Verspätung“ und sei beim „archaischen“ Feminismus einer Simone de Beauvoir stehen geblieben, denn sie stelle wie schon vor vierzig Jahren die Existenz des Mutterinstinkts infrage.

Auf die Frage, was denn ihrer Meinung nach eine „gute Mutter sei“, sagt Badinter, die selber drei Kinder großgezogen hat: „Eine Frau, die zwischen den echten Bedürfnissen des Kinds und ihren eigenen Wünschen die gute Distanz hält, weder zu präsent noch zu abwesend (ist).“

Elisabeth Badinter: „Le Conflit. La femme et la mère“, Flammarion, 270 Seiten, 18 Euro. Die deutsche Ausgabe ist unter dem Titel „Der Infant von Parma“ für Ende März im Beck Verlag angekündigt