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Archiv-Artikel

Der streitlustige Repräsentant

LAMMERT Kritik am Parlamentspräsidenten ist eigentlich nicht vorgesehen. Der jetzige Amtsinhaber provoziert sie nicht zum ersten Mal

Von RAB

BERLIN taz | Wolfgang Thierse mag moralischer gewesen sein, Rita Süssmuth politisch engagierter. Kein Bundestagspräsident aber ging mit solcher Streitlust vor, wenn er Rechte und Würde des Parlaments in Gefahr sieht, wie der derzeitige Amtsinhaber Norbert Lammert. Das mussten am Freitag die Abgeordneten der Linksfraktion erfahren, die Lammert nach ihrer Protestaktion des Saales verwies.

Grundsätzlich wurde er dabei von den übrigen vier Fraktionen unterstützt, von der schwarz-gelben Regierungsmehrheit ebenso wie von der rot-grünen Opposition. „Tja, Frau Enkelmann“, rief Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der parlamentarischen Geschäftsführerin der Linken zu, als sich Lammert auf Absprachen aller Fraktionen im Ältestenrat berief.

An Lammerts Verhalten in der Sitzung dagegen gab es durchaus Kritik. „Er hätte einfach sagen können, nehmt die Spruchbänder wieder weg“, sagte die Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn. „Dadurch, dass er die Abgeordneten gleich hinausgeworfen hat, entstand ein Problem: Er wollte ja selbst nicht, dass sie an der Abstimmung nicht teilnehmen können.“ Diesen Widerspruch bemängelte aus entgegengesetzter Perspektive auch Lammerts Stellvertreter Wolfgang Thierse (SPD). Es sei „inkonsequent“ gewesen, die Linken zur Abstimmung wieder zuzulassen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Lammert mit forschem Vorgehen hervorruft, was der parlamentarische Komment eigentlich nicht vorsieht: Kritik am Präsidenten. Der letzte Eklat lag gerade zwei Tage zurück. Am Mittwochabend verlieh Lammert den Medienpreis Politik des Deutschen Bundestages. Eine unabhängige Jury unter Vorsitz des künftigen ZDF-Chefredakteurs Peter Frey hatte einen Fernsehfilm über die Politik als Krisenretter ausgewählt. Lammert legte sich quer, weil er in dem Beitrag das Parlament nicht ausreichend gewürdigt sah. Der Preis wurde dann unter mehreren Einsendungen aufgeteilt.

In die Kritik war Lammert im vorigen Jahr auch wegen einer Protokollpanne bei der Wahl des Bundespräsidenten geraten, als er das Wahlergebnis durch die voreilige Entsendung von Blumensträußen und einer Blaskapelle verkünden ließ. Die unterlegene Bewerberin Gesine Schwan war über die Stillosigkeit nicht amüsiert. Eher belustigt nahm die Öffentlichkeit dagegen Lammerts Kritik an ARD und ZDF zur Kenntnis. Der Präsident bemängelte bei der Konstituierung des neuen Bundestags im vorigen Herbst, dass die Anstalten die Sitzung nicht in ihren Hauptprogrammen übertrugen, sondern lediglich über den Spartenkanal Phoenix.

Nicht immer ganz treffsicher ist Lammert auch bei seinen Versuchen, Sitzungen humoristisch aufzulockern. „Lammert macht oft Bemerkungen im Kontext Schwule und Frauen, die eine gewisse Altherrenattitüde zeigen“, urteilt Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. Damit meint Beck weniger, dass Lammert ihn einmal versehentlich mit „Herr Bock“ anredete. Sondern eher Bemerkungen von der Art, wie Lammert sie dann nachschob: „Ich kann mich jetzt nur darauf verlassen, dass unsere Zusammenarbeit über so viele Jahre in so vielen Gremien erprobt und bewährt ist, dass das jedenfalls zwischen uns keinen Anlass zu irgendwelchen Spekulationen bietet.“ RAB