: Der „Verräter“ macht den Abflug
INFORMANT Der Mann, der die Geheim-dienste blamierte, ist entwischt: Edward Snowden fliegt nach Moskau – und weiter nach Unbekannt
■ Jahrelang haben die USA den Chinesen vorgeworfen, Hacker aus der Volksrepublik würden in Netzwerke und Rechner der Vereinigten Staaten eindringen und Militär- sowie Wirtschaftsspionage betreiben. Nun aber stellt sich heraus: Es ist eher umgekehrt.
■ Das zumindest behauptet der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Laut Snowden hat die US-Regierung nicht nur chinesische Mobilfunkanbieter angezapft. Zudem habe sich der US-Geheimdienst ins System der Tsinghua-Universität in Peking gehackt, eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen in China. Auch die Hongkonger Universität und das Glaskabelnetz des asiatischen Betreibers Pacnet seien von den US-Angriffen betroffen.
■ Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums zeigte sich „ernsthaft besorgt“. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua verurteilte die USA als „größten Schurken“ der IT-Spionage. (flee)
AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN
Ätsch: Zwei Tage nach seinem 30. Geburtstag, an dem bekannt wurde, dass die USA ihn wegen Spionage suchen und seine sofortige Inhaftierung betreiben, hat Edward Snowden Hongkong verlassen. Der Whistleblower, der in den vergangenen drei Wochen zahlreiche Geheimdienstinformationen der USA und Großbritanniens enthüllt hat, flog zunächst mit der russischen Aeroflot nach Moskau.
Doch die russische Hauptstadt sollte nur eine Transitstation sein. Von dort aus hat er weiter nach Havanna gebucht. Auch in Kuba, wo Dutzende andere politische Flüchtlinge aus den USA leben, scheint Snowden nicht bleiben zu wollen. Sein nächster Zufluchtsort soll anderswo liegen. Unter anderem sind Quito in Ecuador, Caracas in Venezuela und Reykjavík auf Island im Gespräch. In allen drei Ländern hat Snowden viel Beifall für seine Enthüllungen bekommen.
Bei seiner Flucht erhielt Snowden Rechtsbeistand und Hilfe von der Enthüllungsplattform Wikileaks. Eine Wikileaks-Mitarbeiterin war mit ihm im Flugzeug nach Moskau unterwegs. Wikileaks-Gründer Julian Assange hält sich seit nun einem Jahr in der Botschaft Ecuadors in London auf – aus Furcht, seine Auslieferung nach Schweden wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts könnte dazu führen, am Ende in den USA zu landen.
Wenige Stunden vor Snowdens Abreise hatte Washington gegenüber China die Muskeln spielen lassen. „Wenn Hongkong nicht bald handelt, wird das unsere bilateralen Beziehungen komplizieren“, drohte Barack Obamas Sicherheitsberater Tom Donilon am Samstag.
Doch Hongkong spielte nicht mit. Das „Spezielle Verwaltungsgebiet“ (HKSAR) der Volksrepublik China hat zwar ein Auslieferungsabkommen mit den USA, doch den Antrag aus Washington beschieden die Hongkonger Behörden damit, das Verlangen erfülle „nicht alle legalen Anforderungen“, und sie erbaten „zusätzliche Informationen“. In einem am Sonntag veröffentlichten Kommuniqué heißt es lapidar: „Es gibt keine legale Grundlage dafür, Snowden an der Abreise aus Hongkong zu hindern.“
Nach Informationen des russischen internationalen Fernsehsenders RT ist Snowden von den Hongkonger Behörden aus einem „sicheren Haus“ an den Flughafen begleitet worden. Danach war Hongkong für Snowden von Anfang an nur eine Durchgangsstation: „Sein Plan A war es, weiterzureisen.“
Nachdem Snowden nach Moskau abgeflogen war, kamen Drohungen aus Washington an die russische Adresse. Der demokratische Senator Chuck Schumer sagte am Sonntag, die Flucht werde „Folgen für die bilateralen Beziehungen haben.“ Washingtons Wut über das Entfleuchen des bereits unter Kontrolle geglaubten Informanten fiel dennoch eher verhalten aus. „Wir werden unsere Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsorganen anderer Nationen fortsetzen“, verlautete das Justizministerium am Sonntag. Doch tatsächlich werden die US-Auslieferungsgesuche an die möglichen anderen Zufluchtsorte für Snowden schwieriger.
Ein Gericht in Virginia hatte bereits am14. Juni Ermittlungen wegen Spionage und wegen Diebstahls gegen den Whistleblower aufgenommen. Die Anzeige, die der förmlichen Anklageerhebung vorausgeht, war eine Woche lang geheim gehalten worden. Schon für die jetzt aufgelisteten Punkte riskiert Snowden 30 Jahre Gefängnis.
Grundlage für den Spionage-Vorwurf ist ein Gesetz aus dem Jahr 1917. Das Gesetz betraf Spione, die in Kriegszeiten die Feinde der Vereinigten Staaten unterstützen. Die heutige US-Administration benutzt es gegen jene eigenen Leute, die Informationen an die Öffentlichkeit bringen. Snowden ist mindestens der siebte Whistleblower, gegen den die USA seit 2008 wegen Spionage ermitteln.