Elisabeth spielt Federball

Als verfügte Schiller über angelsächsischen Witz: Luk Perceval inszeniert „Maria Stuart“ an der Schaubühne Berlin. Aufregend, spannend, unterhaltsam und ohne Verlust der großen Konflikte

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Elisabeth spielt Federball. Sie läuft in hohen, spitzen Schuhen, der schmale Träger des dünnen Kleides rutscht und legt ihre kleine Brust frei. Sie läuft, sie schlägt, sie schnauft und stöhnt, „höher – ja – und noch mal“, und die ganze Tonspur dieses kurzen Matches zwischen Elisabeth, Königin von England (Jule Böwe), und Graf von Leicester (Bernd Grawert) klingt nach einem erregten Liebesakt.

Doch die Verführung ist eine doppelte: Denn während sie sich ganz der erschöpfenden Bewegung hingibt, legt Leicester seine Netze aus und überredet sie zu einer Begegnung mit Maria Stuart, ihrer zum Tode verurteilten Feindin. Es ist der erste Augenblick, in dem Elisabeth, die sich sonst so steif wie das Schwert in ihrer Hand bewegt, die Kontrolle verliert. Die Szene ist zugleich atemberaubend, spannend, witzig und aufschlussreich: Man spürt körperlich, was auch der Geist erfasst. Ein Stein wurde ins Rollen gebracht, der bis zum Ende alle aus ihrer Bahn geworfen haben wird.

Das Federballspiel ist bezeichnend für die wunderbare Inszenierung der „Maria Stuart“ von Luk Perceval an der Berliner Schaubühne. Selten lauert man so gespannt auf jeden neuen Satz; selten bewundert man so die taktische Intelligenz in der geschliffenen Sprache der Lords und der beiden Königinnen. Friedrich Schiller glänzt plötzlich sophisticated, als hätte er sich für sein englisches Königsdrama tatsächlich angelsächsischen Witz einverleibt: Man fühlt und genießt, wie in den Figuren persönliche Gefühle und politisches Kalkül ständig umeinander schleichen, wie sie mit jedem Satz schon dessen Wirkung vorauszuberechnen scheinen, wie ironische Bissigkeit die Rede schärft.

Dabei ist es nicht viel, was Perceval am Text oder in der Szenenfolge geändert hat: Der Wiedererkennungsfaktor bleibt bei diesem Klassiker sehr hoch. Dennoch erhalten die Figuren, besonders die Königinnen, eine Plastizität aus Fleisch und Blut, die ganz aus heutiger Erfahrung schöpft. Aus konstruierten Figuren, die mit Thesen gepanzert schienen, werden aufreizend widerspenstige und anrührend widersprüchliche Personen.

Mitleid hat man mit beiden Königinnen, sie wirken beide wie Gefangene. Perceval spielt ihre Einsamkeit als Frauen in einer Männergesellschaft aus, die für das Mitspielen einen hohen Preis zahlen. Maria (Yvon Jansen) und Elisabeth sind kompliziert, anspruchsvoll, anstrengend und können, was sie haben wollen, nicht bekommen, ohne zu taktieren, zu versprechen und mehr in Aussicht zu stellen, als die politische Vernunft ihnen eigentlich erlaubt. Ihre Komplexität macht diese Figuren attraktiv; all die vereinfachenden Antagonismen, die sonst so gern zwischen den Königinnen aufgesplittet werden – wie Tugendhaftigkeit gegen das Spiel mit erotischer Verführung, Leidenschaft gegen Machtwillen – sind diesmal in beiden miteinander verwoben. Doch wie sie ihre Leidenschaften ausagieren, unterscheidet sie sehr deutlich.

Siehe da, der Text gibt es her: Maria Stuart ist ein quecksilbriges Bündel, voller Trotz, Spott und Lebenslust, die in ihren Erwiderungen ständig den patriarchalen Gestus ihrer Berater und Mahner karikiert. So ganz nebenbei switcht sich Yvon Jansen in dieser Rolle dabei auch durch die verschiedenen Stile der Deklamation und parodiert das Gestelzte, das Schiller so leicht ausstrahlt. Sie pöbelt ein wenig und wird ordinär; aber dass sie sich mit ihren sexuell provozierenden Gesten, mit Übermut und Grimassen auch die Angst vor dem Todesurteil vom Leibe hält, spürt man auch. Allein im letzten Akt, in dem der Idealismus Schillers schon immer am schwersten zu ertragen war, wenn Maria in ihren Tod einwilligt und ganz die Erlösung Suchende wird, beginnt man die Anstrengung zu spüren, zu dieser Figur Kontakt zu halten.

Elisabeth dagegen bleibt aus einem Guss. Die Zerrissenheit zwischen persönlichen Gefühlen und politischer Klugheit hat sie längst in Gerissenheit verwandelt. Ihr Unverheiratet-Bleiben dient dem Machterhalt und der persönlichen Freiheit, auch wenn der Druck der Lords zur Ehe groß ist. Liebesverhältnisse müssen heimlich bleiben. Das alles ließe sich regeln, wäre nicht die Angst groß, dass sich die Trennung in inszenierte Fassade und Spiel hinter den Kulissen nicht mehr öffentlich aufrechterhalten lässt. Sie hat, vor allem, ein Imageproblem. Wie sie das quält, lässt einen aber nicht kalt.

Nicht zuletzt das Bühnenbild von Annette Kurz und der Einsatz einiger Bogenschützen tragen dazu bei, die Gefährdung, die von jedem Wort ausgehen, zu transportieren. Die Aufmerksamkeit, mit der man zwischendurch nur auf das Sausen und Treffen der Pfeile hört, schärft die Sinne und lädt den Raum auf. Kein Bild gerät klein, alles füllt die ganze Bühne, auch jedes Flüstern heimlicher Verabredung. Luk Perceval, der seit dieser Spielzeit als „fester Hausregisseur“ der Schaubühne gilt, hat ihr mit dieser Inszenierung, ein schönes Pfund zum Wuchern erarbeitet.