: Neuer Retro-Schick
55. BIENNALE VENEDIG Die Fondazione Prada stellt Harald Szeemanns bahnbrechende Kunstausstellung „When Attitudes Become Form“ von 1969 noch einmal nach
VON MARCUS WOELLER
Der Griff in die Klamottenkiste ist Miuccia Prada nicht fremd. Denn Retro gehört zu den Prinzipien der italienischen Modemacherin, die immer mal wieder ikonische Elemente vergangener Jahrzehnte ausgräbt und zeitgenössisch aufwertet. Gerade entdeckte sie die Sechziger (mal) wieder und möchte die Damen im kommenden Herbst in Tweedkleidern und Hahnentrittkostümen sehen.
Dass eine der wichtigsten Ausstellungen der späten sechziger Jahre nun in der Fondazione Prada in Venedig bis ins letzte Detail wiederaufgeführt wird, passt da nur ins Bild. „When Attitudes Become Form“ fand ursprünglich 1969 in der Kunsthalle Bern statt. Der Kurator Harald Szeemann etablierte damit ein bahnbrechend neues Inszenierungsmodell. Er versuchte die Arbeiten in einen Dialog treten zu lassen, statt sie in zeitliche, biografische oder thematische Zusammenhänge zu stellen. Außerdem bewies Szeemann eine erstaunlich gute Nase für die aktuellen Strömungen in der Kunst. Vielen Karrieren hat er Flügel verliehen.
Seine damals wenig prominente Künstlerliste liest sich heute wie das Who’s who von Konzeptkunst, Land Art oder Happening: Carl Andre, Joseph Beuys, Hanne Darboven, Walter de Maria, Michael Heizer, Eva Hesse, Bruce Nauman, Richard Serra, Robert Smithson oder Lawrence Weiner sowie 60 weitere Künstler (ja, keine weiteren Künstlerinnen) nahmen teil.
Bis heute inspiriert Szeemanns Anspruch, ein dichtes Netzwerk von Bezügen zwischen den Kunstwerken zu etablieren, die Museumsleute. Eine Flut mehr oder weniger überzeugender Kuratorenausstellungen, die konzeptuelle Ideen mit der Hilfe von Dutzenden bis Hunderten künstlerischen „Positionen“ zu illustrieren versuchen, folgte. Dieses Remake der legendären Schau hat allerdings wenig Sinn.
Fresken neben Trockenbau
„When Attitudes Become Form: Bern 1969/Venice 2013“ im Barockpalast Ca’ Corner della Regina am Canal Grande setzt auf die mimetische Rekonstruktion der Ausstellung bis in räumliche Spitzfindigkeiten. Dafür bauten der Architekt Rem Koolhaas und der Künstler-Modellbauer Thomas Demand ein temporäres Gebäude in den Palazzo, um die beengten Verhältnisse der Berner Kunsthalle zu imitieren.
Vor opulenten Fresken drängen sich nun Trockenbauwände, an die Silhouette von Pilastern und Kapitellen biedern sich Attrappen an. Die Kunstwerke nehmen selbstverständlich exakt die gleichen Stellen ein wie damals. Allerdings konnten nicht alle Exponate ausgeliehen werden.
Die Fehlstellen sind nun pathetisch durch gestrichelte Bodenmarkierungen gekennzeichnet. „Reenactment“ heißt die populäre Wiederaufführung von Performances oder Happenings. Die neue Inszenierung tritt dabei in Konkurrenz zu den klassischen Konservierungstechniken für zeitbasierte Kunst in Schrift, Fotografie oder bewegtem Bild.
Jedes Reenactment fördert so auch die Theatralisierung des ursprünglichen Werks, weil sich die Kontexte verändert haben. Man muss nicht mit dem Begriff der Aura operieren, um zu erkennen, dass eine Beuys’sche Fettecke von 1969 eine andere Qualität hat als 2013 frisch an die Wand geschmierte Margarine. Man muss auch keinen Misthaufen am Eingang aufstellen, um die Empörung der Schweizer Bevölkerung zu zitieren. Solchen Furor kann zeitgenössische Kunst heute nicht mehr erzeugen.
Germano Celant, verdienter Arte-Povera-Kurator, damaliger Szeemann-Assistent und nun Retro-Zeremonienmeister der Ausstellung, erliegt dem Fetischismus und der Selbstbeweihräucherung. Wo Szeemann dem künstlerischen Werk zu Präsenz verhalf, fokussiert Celant auf die Rolle des Kurators. „Sein Handeln wurde gleichbedeutend mit dem des Künstlers“, bewertet er seinen Berufsstand nicht ohne Eitelkeit. Mit dem Remake arbeitet er damit nicht nur an der Hagiografie Szeemanns, sondern an der Überbewertung des Kurators an sich. Die Kunstwerke dienen denn auch hauptsächlich als Staffage. Hier nehmen nicht mehr Einstellungen der Künstler Form an, sondern die Spektakel des Kunstbetriebs.
Und ihre Reglements: Die Besucher können sich nur in kleinen Gruppen in der Ausstellung bewegen, die zunächst auf das kuratorische Konzept geeicht werden. Freundliche Hostessen zeigen den Weg durch die überpräsente Showarchitektur, während verbindliche Hosts die Räume bewachen, als handle es sich um einen Tatort, an dem die Spuren noch nicht gesichert sind.
Leider bietet die pompöse Inszenierung aber so gut wie keinen Mehrwert gegenüber der Erinnerung von Zeitzeugen an die Originalausstellung oder ihrer kritischen Dokumentation. Statt der formalen Nachbildung hätte man sich besser auf eine generelle Haltung der Conceptual Art besonnen, die durch „When Attitudes Become Form“ so nachhaltig befeuert wurde. Dass Konzepte nämlich vor allem vor dem geistigen Auge Gestalt bekommen.
■ „When Attitudes Become Form: Bern 1969/Venice 2013“, bis 3. November, Fondazione Prada, Venedig