„Rechtliche Apartheid für Arbeitslose“

Martin Künkler, Referent der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Berlin, zu den Plänen, nach denen Eltern den Unterhalt ihrer erwerbslosen Kinder selbst sichern müssen

taz: Erwachsene Arbeitslose unter 25 Jahren, die noch zu Hause bei den Eltern leben, sollen künftig zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern zählen und weniger Arbeitslosengeld II bekommen. Was bedeutet das konkret?

Martin Künkler: Das hat zur Folge, dass künftig jeder Euro des Einkommens der Eltern auch zum Unterhalt für ihre erwachsenen Kinder eingesetzt werden muss und für den gesamten Haushalt die Bedürftigkeitsgrenzen des Arbeitslosengeldes II gelten. Dann kann beispielsweise schon ein Nettoeinkommen der Eltern von 1.600 Euro ausreichen, damit der zu Hause lebende Sohn oder die Tochter keinen Anspruch mehr auf die Leistung hat.

Bedeutet das, die gering verdienenden Familien werden noch ärmer?

Einmal werden sie natürlich ärmer, weil die Eltern ja mehr Geld für den Unterhalt der Kinder aufwenden müssen. Aber auch wenn die Eltern beide selbst arbeitslos sind, verringert sich das Einkommen im Haushalt, denn der Regelsatz für die zu Hause lebenden jungen Erwerbslosen wird ja ebenfalls um fast 70 Euro gekürzt. Diese Kürzungen sind zudem ein Verstoß gegen das Bürgerliche Gesetzbuch.

Warum?

Laut Bürgerlichem Gesetzbuch sind Eltern gegenüber ihren volljährigen Kindern nur noch beschränkt unterhaltspflichtig, ihnen steht ja ein Selbstbehalt zu, der bei zwei erwachsenen Elternteilen beispielsweise bei rund 2.000 Euro netto liegt. Das darüber hinausgehende Einkommen wird auch nur zum Teil angerechnet. Für Familien mit jungen Erwerbslosen wird durch die neue Regelung also eine Art minderwertiges Armenrecht eingeführt, eine Art rechtliche Apartheid. Das ist der eigentliche Skandal.

Ist das eigentlich auch eine Verschlechterung gegenüber dem früheren Sozialhilferecht?

Das ist eine Verschlechterung, denn nach dem früheren Sozialhilferecht waren Eltern für ihre erwachsenen Kinder zwar unterhaltspflichtig, aber eben mit Selbstbehalt, so wie es auch im Bürgerlichen Gesetzbuch steht.

Arbeitslose junge Leute, die von zu Hause ausziehen wollen, brauchen dafür künftig die Zustimmung des kommunalen Trägers, um die Mietkosten und Arbeitslosengeld II zu bekommen. Ist diese Bestimmung überhaupt rechtlich haltbar?

Junge Erwerbslose sollen künftig in der Regel nur noch aus „schwer wiegenden sozialen Gründen“ ausziehen dürfen. Damit greift der Staat massiv in private Belange ein. Diese Definition wird die Gerichte noch beschäftigen, ähnlich wie die Anrechnungspraxis bei unverheirateten Paaren. Damit wird dem Überwachungsstaat und der Schnüffelpraxis Tür und Tor geöffnet. Ich glaube übrigens, dass die Sozialgerichte diese Regelungen über kurz oder lang kassieren werden. Aber darüber werden einige Jahre vergehen.

Die Politik hofft ja, erstens mehr Geld zu sparen und zweitens die jungen Leute dazu zu bringen, sich eher einen Job zu suchen.

Bei den geplanten 500 Millionen Euro an Einsparungen durch diese Verschärfungen ist mir nicht klar, auf welcher Grundlage das überhaupt errechnet wurde. Und was die jungen Erwachsenen betrifft, wird es eher so aussehen, dass sie sich dann eben bei der Arbeitsagentur gar nicht mehr melden, wenn sie sich ausgerechnet haben, dass sie sowieso keine Ansprüche hätten. Dann bemühen die sich auch nicht um Eingliederungsmaßnahmen und stehen dann erst mit 25 Jahren auf der Matte. Dann aber ist bereits wertvolle Zeit vergangen, um diese Leute zu qualifizieren.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH