: Bewährung in der Unterwelt
BÜHNE „Orpheus“ am Bremer Goetheplatz-Theater: Blaumeier traut sich Tragödie zu
Das Ende beweist, wie anders Blaumeier diesmal ist: Einsam sitzt Frank Grabski im Bremer Schauspielhaus, ein dichter Teppich von Rosenblättern umgibt ihn. Nachtblau dunkelt den Raum, „Eurydike“-Geflüster füllt ihn. Grabski, er ist Orpheus, trauert.
Große Finale pflegen beim inklusiven Bremer Kunstprojekt Blaumeier mit Getöse daherzukommen, mit satt-klamaukigem Happy End oder einer Gran Fiesta wie bei „Carmen“. Doch diesmal ist die Aneignung des klassischen Opern-Sujets am Ende groß durch die Intensität von Einsamkeit. Orpheus’ Eurydike ist tot, bleibt tot, allen verzweifelten Rettungstaten in der Unterwelt zu Trotz. Diese aber liefern einen Stoff, mit dem Blaumeier neue dramatische Qualitäten beweist.
Eine solch sinistere Welt der Schatten, aus der Orpheus seine am Schlangengift gestorbene Braut zurückholen will, ist Neuland für Blaumeier. Neu ist auch, wie wenig Normalo-Schauspieler als „Sidekicks“ eingesetzt werden. Anders gesagt: Blaumeier traut sich nun nicht nur Tragödie, sondern vertraut auch zunehmend der szenetragenden Präsenz seiner durch Verschiedenartigkeit faszinierenden AkteurInnen. Wie Grabski, dessen Bein sonstige Glieder ersetzt.
Getanzte Klage
Im Kern jeder Orpheus-Inszenierung steht die Frage: Wie muss eine Klage klingen, die selbst den Todesgott erweicht? Blaumeiers Antwort kommt ohne Monteverdi aus. Das Regieteam aus Imke Burma, Jörg Isermeyer und Barbara Weste setzt auf eine komplett eigene Bühnenmusik; lässt die Klage nicht nur mit eigenen Tönen klingen, sondern auch tanzen: Aladdin Detlefsen tut das mit derart intensiver Verzweiflung, das nicht nur bei Hades Tränen fließen.
Die zweite zentrale Frage dieses Werks wird weniger überzeugend beantwortet. Sie lautet: Warum fehlt Orpheus das Vertrauen, dass Eurydike ihm tatsächlich zurück ins Leben folgt? Er dreht sich um, verletzt damit die Bedingung des Totengottes – und Eurydike sinkt zurück zu den Schatten. Eine mögliche Antwort läge in der Unterscheidung zwischen besitzergreifender und frei lassender Liebe. Die allerdings hat auch Monteverdi nicht gegeben. HENNING BLEYL
Wiederaufnahme im Herbst