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Archiv-Artikel

Mitterrands Albtraum

KRISE Euroausstiegsdebatte, Teil IV: Ein Europäisches Währungssystem ist keine Alternative. Das zeigt Frankreichs Politik der achtziger Jahre

Ingo Stützle

■ ist Politologe. Im Mai erschien sein Buch: „Austerität als politisches Projekt. Von der monetären Integration Europas zur Eurokrise“. In der Eurodebatte schrieben bisher Winfried Wolf, Elmar Altvater und Steffen Lehndorff.

Am selben Sonntag im März 1983, an dem Helmut Kohl seine erste Wahl zum Bundeskanzler gewann, war der Hoffnungsträger der französischen Linken, François Mitterrand, am Ende. Bei den Kommunalwahlen hatten seine Sozialisten eine herbe Schlappe einstecken müssen, die Folge von steigender Arbeitslosigkeit und Inflation. Mitterrand brach daraufhin das keynesianisch-sozialistische Experiment ab, das er nach seiner Wahl zum Präsidenten 1981 begonnen hatte, und leitete einen harten Austeritätskurs ein. Mit Kohl, so glaubte man in Frankreich, war der Neoliberalismus endgültig auch in Deutschland angekommen – und gegen Deutschland angesichts der Dominanz der D-Mark keine Politik zu machen.

Lafo: zurück Richtung EWS

Mitterrands Scheitern ist ein spannender Fall, um Sinn und Unsinn des Euro-Austritts zu diskutieren, wie er momentan nicht nur von rechten Parteien wie der AfD, sondern auch von links gefordert wird. Aber solche historischen Rückblicke sind momentan nicht allzu sehr en vogue: Man müsse „die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das, wie beim Vorläufer der Europäischen Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem (EWS), Auf- und Abwertungen erlaubt“, so Oskar Lafontaine im April. Frankreich war aber zu Mitterrands Zeiten im EWS. Die mangelnden Möglichkeiten, die dieses damals Paris bot, waren der Hauptgrund für den französischen Präsidenten, stattdessen auf eine gemeinsame europäische Währung zu drängen. Ohne diese, verbunden mit einer gemeinsamen Geldpolitik, seien die europäischen Staaten „dem Willen der Deutschen unterworfen“, glaubte er.

Das EWS sorgte ab 1979 bis zur Gründung des Euro für relativ stabile Wechselkurse in Europa. Zugleich erlaubte es Ländern, ihre Währung abzuwerten, wodurch Exporte billiger und damit eher nachgefragt wurden. Genau diese „Flexibilität“ sehen viele Eurokritiker heute als Vorteil. Eine Abwertung könne fehlende Wettbewerbsfähigkeit ausgleichen. Im EWS waren solche Abwertungen nur nach politischer Übereinkunft möglich, wobei Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke den Ton angab. Deshalb bedeutete bereits das EWS „eine weitgehende Aufgabe“ der „geldpolitischen Autonomie“ der EWS-Mitgliedstaaten, so der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl.

Mitterrands „Keynesianismus in einem Land“ hatte 1981 mit der Verstaatlichung von zwölf Unternehmensgruppen und 39 Banken und Finanzinstitutionen begonnen. Der Staat besaß danach 13 der 20 wichtigsten französischen Unternehmen. Gleichzeitig wurde der Mindestlohn um 10 Prozent erhöht, die Mindestrente um 20. Im öffentlichen Dienst schuf der Staat 150.000 neue Stellen. Zum Problem wurden die Kosten. Die öffentlichen Ausgaben stiegen zwischen 1981 und 1982 um fast 12 Prozent, allein 1982 wuchs das staatliche Defizit um fast 3 Prozent.

Gegenspieler Pöhl

Der Regierung Mitterrand war klar, dass das keynesianische Experiment mit einer Stabilisierung der Währungsverhältnisse flankiert werden musste. Frankreich war hinsichtlich der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit nicht so naiv, wie oft vermutet wird – allerdings nach dem Ende von Bretton Woods international sehr isoliert. Das Land plädierte nun für die Neuauflage eines solchen Systems fester Wechselkurse, fand aber einen seiner wichtigsten Gegenspieler in Deutschland – in Karl Otto Pöhl.

Aufgrund der fehlenden Koordinierung der Wechselkurse halbierten sich die französischen Devisenreserven von 1981 bis 1983 auf 30 Milliarden Franc. Frankreich musste seine unter Druck geratene Währung allein stützen, mit seinen Währungsreserven Franc aufkaufen. Als die Devisen zur Neige gingen, blieb nur eine Abwertung des Franc. Gegenüber der D-Mark sank sein Wert in zwei Jahren um 27 Prozent, womit auch der Spielraum der Politik schwand. Zum einen wurden die Importe teurer, was die Inflation befeuerte. Mit der schwindenden Konkurrenzfähigkeit Frankreichs stiegen die Importe um 40 Prozent, das Handelsbilanzdefizit Frankreichs hatte einen historisch einmalig schlechten Wert. Dies hing auch mit der gezielten Unterbewertung der D-Mark durch die Bundesbank zusammen, die den deutschen Export befeuern sollte.

Auch wenn Frankreich 1983 unter Druck stand, war es nicht selbstverständlich, dass es sich den neuen Bedingungen beugte. Mitterrand ließ alternative Optionen prüfen. Sein außenpolitischer Berater Jacques Attali schlug einen aggressiven Kurs gegenüber Deutschland vor: Würde nach der Bundestagswahl die D-Mark nicht aufgewertet, solle Frankreich das EWS verlassen und den Kurs des Franc freigeben. Mitterrand fürchtete aber, dass sich bei einem EWS-Austritt die Bedingungen für Frankreich weiter verschlechtern würden.

Gegen Deutschland, so glaubte man in Frankreich, war angesichts der Dominanz der D-Mark keine Politik zu machen

Deutsche Bedingungen

De facto hatte Frankreich zwei Optionen: entweder den Franc weiter abzuwerten oder Zinssenkungen der Bundesbank beziehungsweise eine Aufwertung der D-Mark. Auf freiwilliges Nachgeben Deutschlands konnte Mitterrand aber nicht rechnen. Finanzminister Jacques Delors warf Deutschland daher politische Arroganz vor: ein Vorwurf, den man in Bonn ungern hörte. Frankreich wollte so Deutschland eine gewisse Kooperationsbereitschaft abringen – was auch gelang. Nicht nur wurde der Franc schließlich um 2,5 Prozent abgewertet, gleichzeitig erfuhr die D-Mark eine Aufwertung um 5,5 Prozent. Deutschland machte seine Aufwertung aber von einem französischen Austeritätskurs abhängig. Laut Libération gehörten dazu Haushaltskürzungen um 20 Milliarden Franc.

Ab 1983 wurde somit nicht nur deutlich, dass gegen den kapitalistischen Weltmarkt keine Politik zu machen war, sondern auch nicht gegen Deutschland als stärkster Wirtschaftsmacht Europas. Mit einer Auflösung des Euro wäre daher nicht viel gewonnen, solange nicht die Zielsetzung der europäischen Wirtschaft selbst infrage gestellt wird: die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und die Ausrichtung an Profitabilität. Eine Debatte, die entlang der Frage geführt wird, ob der Euro abgeschafft gehört, ist da wenig hilfreich. INGO STÜTZLE