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Archiv-Artikel

„Der Rudi war einer von hier“

Die taz sammelt Unterschriften für die Dutschke-Straße: Die Resonanz ist groß – und meist positiv

Mittwochmorgen, halb zehn, in der alten Kochstraße in Kreuzberg. Die Aktion „Unterschriften für Rudi“ beginnt. Es ist kalt, es ist windig, aber wenigstens regnet es nicht. Die meisten Passanten haben es eilig, sie wollen schnell zur Arbeit. Kopfschüttelnd lehnen die ersten drei Angesprochenen ab. Dann ist das Eis gebrochen.

„Ach, es geht um die Rudi-Dutschke-Straße?“, fragt eine Frau Anfang 30. „Ihr sammelt Unterschriften für die Umbenennung der Kochstraße?“, hakt sie noch mal nach. „Ich dachte, das ist schon beschlossen.“ Dann hat sie doch einen Moment Zeit und unterschreibt. „Erst dachte ich, ihr wollt mir was verkaufen.“

„Na klar, für den Rudi immer. Den habe ich persönlich gekannt“, erzählt ein Wirt in der Oranienstraße. „Das ist wichtig“ animiert er auch seine Gäste. Die unterschreiben gleich alle. „Der Rudi war einer von hier!“, bestätigt der Wirt, während er das nächste Bier zapft.

Aber nicht alle kennen den ehemaligen Studentenführer. „Wer war das überhaupt?“ Diese Frage bekommen wir mehr als einmal gestellt. Wenn dann Stichworte wie „68er“ und „Anti-Springer-Demonstrationen“ fallen, wissen die meisten doch, nach wem der östliche Teil der Kochstraße benannt werden soll.

Die meisten Leute sind schnell bereit, für Dutschke zu unterschreiben. Aber es gibt auch Gegenstimmen. „Ich will, dass die Kochstraße die Kochstraße bleibt“, sagt ein Mann Mitte 40 an der Bar eines Lokals am Görlitzer Park. „Wir haben in Deutschland echt andere Probleme als Straßennamen.“ Auch der Bäcker auf der Kochstraße ist erbost: „Das kostet mich 500 Euro, wenn ich meine Adressschilder ändern muss.“ Ein älterer Herr im grauen Anorak kontert: „Bei der Axel-Springer-Straße damals ging das auch.“ Er findet es genau richtig, dass sich Rudi Dutschke und Axel Springer mit ihren Straßen kreuzen würden. „Der Dutschke war kein Wendehals. Der war konsequent. Er hat es verdient.“

Ob die Dutschke-Straße nun kommt, hängt gerade von den Bewohnern des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg ab. Wer in einem anderen Stadtbezirk lebt, hat erst mal kein Mitspracherecht. „Das ist doch irgendwie falsch“, meint eine engagierte Cafébesucherin in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs. „Dutschke hat über Kreuzberg hinaus Bedeutung.“ Die taz-Leserin wollte sich selbst eine Unterschriftenliste aus dem Internet für ihre vielen Freundinnen besorgen. „Aber wenn nur Kreuzberger und Friedrichshainer unterschreiben dürfen, hat das keinen Sinn.“

Tatsächlich sind viele Passanten weder aus Kreuzberg noch aus Friedrichshain. „Sorry, I do not speak German!“ So tummeln sich eine Gruppe Engländer, ein Pärchen aus Dänemark und Hochzeitsgäste aus Spanien auf der Oranienstraße. Die meisten sind an der Aktion interessiert. An einem Schnellimbiss treffen wir auf drei Italiener. Zwar spricht nur einer Deutsch, dafür kennen die zwei anderen Rudi Dutschke. Nachdem die beiden Mailänder ihren Cousin – auf Italienisch – kurz aufgeklärt haben, für wen hier Unterschriften gesammelt werden, will auch der Neuberliner gleich unterschreiben.

Auch in Friedrichshain ist das Echo positiv. Die Verkäuferin der Yogi-Snack-Bar will uns sogar auf einen Kaffee einladen. „Ihr seid ja für eine gute Sache.“ Am ersten Tag haben schon 360 Bewohner des Bezirks für die Dutschke-Straße unterschrieben. Sogar Mitarbeiter des Springer-Konzerns sind dabei. „Ich unterschreibe gern, aber bitte ohne Foto“, erklärt eine junge Frau. „Ich arbeite nämlich da drüben“, sagt sie, während sie auf das Springer-Hochhaus zeigt. MIRJAM MEINHARDT

Die CDU sammelt Unterschriften gegen die Dutschke-Straße. Ihre Bilanz: nur 20 Stimmen

Der Spitzenkandidat durfte als Erster: Pünktlich um 15 Uhr setzt Friedbert Pflüger ein gewinnendes Lächeln auf, greift zum Kugelschreiber und verewigt sich in der bis dahin noch jungfräulichen Liste der CDU. Es war die erste von 4.942 Unterschriften, die die CDU in den nächsten sechs Monaten sammeln muss, um den Bürgerentscheid gegen die Rudi-Dutschke-Straße herbeizuführen. Allerdings ist sie ungültig: Denn Pflüger ist weder in Kreuzberg noch in Friedrichshain gemeldet. „Das war natürlich nur symbolisch“, wiegelt der CDU-Kreisvorsitzende Kurt Wansner ab.

Dann sucht Pflüger das Gespräch mit dem Volk – und trifft prompt auf den politischen Gegner. Der junge Radfahrer, den er zur Unterstützung der CDU-Aktion bewegen will, zeigt wenig Interesse. Er hat gerade im taz-Café für die Dutschke-Straße unterschrieben.

Für den Auftakt zum Bürgerbegehren hat sich die CDU einen der zugigsten Plätze der Hauptstadt ausgesucht. Am östlichen Ende der Kochstraße, Ecke Lindenstraße, hat der Bezirksverband sich mit zwei kleinen Plastiktischchen positioniert. Sie drohen ständig vom Wind umgestoßen zu werden.

Dicht umlagert ist der CDU-Stand in unmittelbarer Nähe des Springer-Hochhauses eine gute halbe Stunde lang – dann wird es den Journalisten hier zu kalt. Sie interessieren sich ohnehin vor allem für Pflüger. Auch die meisten Passanten eilen rasch vorbei: Gerade mal 20 gaben ihre Unterschrift für die Kochstraße – das war die magere Bilanz der CDU nach dem ersten Sammeltag. Und: Zwei anwesende Journalisten unterschrieben lieber für Dutschke.

Wansner gibt sich trotzdem optimistisch: „Wir haben schon von vielen Leuten eine sehr positive Resonanz bekommen.“ In den kommenden Tagen sollen Kreisverbandsmitglieder beginnen, Unterschriften direkt bei den Anwohnern zu sammeln.

Am Rande erzählt Pflüger von seinen persönlichen Erfahrungen mit Dutschke, dem Studentenführer. Als Bundesvorsitzender des RCDS habe er einmal mit Dutschke bei einer Konferenz an der Uni Paderborn über Kambodscha diskutiert. „Was weiß schon ein Rechter über das demokratische Kambodscha“, soll Dutschke ihm geantwortet haben. Der Saal tobte, und schon da hatte Pflüger die Diskussion verloren. „Ich habe keinen Schaum vor dem Mund, wenn ich über Dutschke rede“, sagt Pflüger. „Aber wenn heute eine Straße umbenannt wird, dann nur nach jemandem, der sich klar zur demokratischen Grundordnung bekennt.“ Aber auch der CDU-Spitzenkandidat gibt zu, dass Rudi Dutschke über ein „großes Charisma“ verfügt habe.

Wer der derzeitige Namensgeber der Kochstraße ist, weiß Pflüger nicht zu beantworten. Doch ein kurzer Blick zu Kurt Wansner genügt, und der CDU-Kreischef sekundiert – mit einem Verweis auf das CDU-Unterschriftenformular. Dort ist zu lesen: „Die Kochstraße ist nach dem ehrenwerten Bäckermeister Johann Jacob Koch benannt, der um 1724 Vizebürgermeister von Berlin war …“

Ein junger Mann mit Baskenmütze und dunklem Mantel verfolgt die Szene mit der amüsierten Gelassenheit des Außenstehenden. „Die Debatte ist Ausdruck einer fairen Demokratie“, sagt Marc Bassets, der Berlin-Korrespondent der spanischen Tageszeitung La Vanguardia. Von ihm kam eine der interessantesten Einschätzungen der Person Dutschke an diesem Nachmittag: „Wenn ich meiner Redaktion das Thema verkaufen muss, sage ich immer, Rudi Dutschke ist der deutsche Cohn-Bendit.“ Letzterer ist in Spanien wesentlich bekannter. MARTIN REISCHKE