: Vermächtnis: Der Pisa-Papst Baumert geht
Es wird einer seiner letzten Auftritte als der große Mann der Pisa-Forschung sein. Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, wird im Juni emeritiert – und am Donnerstag wird es so etwas wie das Vermächtnis Baumerts zu bestaunen geben. Er wird nichts Geringeres als die alles entscheidende Frage seit Pisa thematisieren: „Bildung – wirklich für alle?“ Der Pisa-Papst wird, freundlich gesagt, komplexe Ergebnisse präsentieren. Einfach hat es der bald 70-Jährige noch nie gemacht – nicht der Politik und schon gar nicht den Journalisten.
Die Schlacht wird weitergehen, das ist sicher: Ist das gegliederte Schulsystem verantwortlich dafür, „wer wohin geht“ und „wer was lernt“? Baumert hat die besten Daten, die es für eine Antwort darauf je gab. Es geht um die Frage, ob die Schule schuld ist, dass der Kompetenzerwerb der Schüler in Deutschland so stark sozial abhängig ist. Und wieso Migranten so oft in den niedrigen Schulformen geparkt werden, obwohl sie, worauf Baumert besteht, sehr motiviert sind.
Baumert wird in der Berliner Akademie der Wissenschaften eine unbequeme Botschaft präsentieren. Nur gut, dass der Boulevard mit Baumert-Sätzen nichts anzufangen weiß, sonst stünde der Republik ein hitzige Debatte bevor: Denn es gebe „keinerlei Diskriminierung von Zuwanderern“. Deren offensichtliche Nachteile resultierten nicht etwa aus ihrem Migrantenstatus, sondern aus ihrer sozialen Zusammensetzung – sie sind arm.
Soll man, darf man einen Forscher dafür anprangern, dass er Ergebnisse präsentiert, die in der Öffentlichkeit eine ganz andere Konnotation bekommen? Wir haben schon die jauchzende Presseerklärung des Philologenverbands vor Augen, der brutaler vereinfacht als jeder Bild-Redakteur das kann: „Die Migranten sind selbst schuld – jetzt mit Max-Planck-Gütesiegel!“ Nein, darf man nicht. Denn Jürgen Baumert ist erstens nicht verantwortlich für das, was die Straße aus seinen Nuancen macht.
Zweitens hat Baumert die Deutschen vor knapp zehn Jahren mit zwei Spezies bekannt gemacht, den Risikoschülern und den funktionalen Analphabeten, und damit den schaurigen Anlass des Pisa-Schocks geliefert. Und Baumert hat die wichtigste Teilstudie über die Schulstruktur geschrieben – „Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Schul- und Entwicklungsmilieus“, 2006. Darin steht, dass 60 Prozent der Berliner, 96 Prozent der Bremer und die Hälfte der hessischen Hauptschulen kaputt seien. Die Studie wurde nicht rezipiert. Obwohl sie zeigte, dass die künstlich hergestellten kritischen Schulmilieus „außerordentlich schädliche Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung von Jugendlichen haben“. Aber dafür kann Baumert nichts. Er muss forschen und nicht über mutmaßliche Wirkungen beim Publikum nachdenken.
In Zukunft wird er dies als Emeritus übrigens leichter tun können. „Ich wollte mehr schreiben und weniger Administration machen“, sagt er. CHRISTIAN FÜLLER
■ Jürgen Baumert, interviewt von Thomas Kerstan. „Bildung – wirklich für alle?“. 4. 3., 19 Uhr, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin, Jägerstr. 22