: Nach Hause gehen
Links Bier, rechts Döner. Und dazwischen: Heinrich Heine. Heute, zum 150. Todestag des Dichters, wird dessen Geburtshaus in Düsseldorf wiedereröffnet. Eine Spurensuche aus gegebenem Anlass
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Wer in Düsseldorf anständig absacken will, geht hier hin: in die Altstadt. Geht in den „Weißen Bären“, ins „Kreuzherreneck“, zischt ein paar Alt, fällt wieder raus. Zum Beispiel und besonders gerne zu Karneval, übernächste Woche also. Dann sind die Gassen richtig voll. Und ähneln zumindest darin den Menschen.
Wohl kaum einer der Feiertouristen wird altbenebelt Notiz davon nehmen, was an der Bolkerstraße zwischen Dönerbude und Irish-Pub klemmt: ein sauberes weißes Häuschen mit grau umrahmten Sprossenfenstern, in dessen Hintergebäude im Dezember 1797 als Sohn des jüdischen Tuchhändlers Samson und seiner Frau Betty ein Junge geboren wurde, der erst später Heinrich heißen sollte. Zunächst wurde er von allen einfach nur Harry gerufen, Harry Heine.
Leben und leiden
Am Abend wird das Haus mit der Nummer 53 nach längerem Umbau wiedereröffnet. Mit großem Tamtam natürlich, denn heute vor 150 Jahren ist Heine gestorben, allerdings nicht in Düsseldorf, sondern in Paris. Dorthin war der Dichter, 34-jährig, ausgewandert, um den Anfeindungen der Preußen zu weichen. Dort lebte er. Dort litt er. Und schrieb lyrische Reportagen aus seinem Herzen, das zumeist gebrochen war und schmerzte.
Deutschland beschäftigte ihn jedoch lebenslang. Und symbolisch für die Heimat stand die Bolkerstraße: „Ich bin dort geboren, und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehen. Und wenn ich sage nach Hause gehen, so meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin“, schreibt Heine in seinem 1827 erschienenen „Buch le Grand“. Gehen wir also hinein. Hinein in das Haus, von dem Heine träumte, es würden einst „grünverschleierte, vornehme Engländerinnen“ dort einkehren, um gegen gutes Geld nach seiner Aura zu suchen.
Zunächst geht es einen schlauchförmigen Raum entlang, alles weiß, edler Boden. Hier wird bald der Buchhändler Rudolf Müller einziehen, der bislang an der Neustraße residiert, unweit von hier. Gemeinsam mit seiner Frau, Selinde Böhm, wird Müller auch die Lesungen einfädeln, die künftig im hinteren Teil des Heine-Hauses stattfinden sollen, wo sich der Raum in die Breite öffnet. Rund 120 Menschen finden hier Platz, von oben flutet viel Licht durchs gläserne Giebeldach, und wenn hier gerade kein Schriftsteller liest, dient der Raum als Literaturcafé.
Schlimm zugerichtet
Vorbei die Zeiten der alten Kneipe „Schnabelewopski“, die hier früher drin war. Vorbei auch die Zeiten, in der man Gebäude verstümmelte, indem man Putz drauf klatschte und dergleichen mehr. Die Außenfassade des Hauses wurde wieder in den ältesten bekannten Zustand versetzt, ganz im Gegensatz zum Haus des Heine-Onkels Simon de Geldern ein paar Sträßchen weiter. Es wurde von Handwerkern schlimm zugerichtet.
Ein Literaturzentrum soll das Heine-Haus werden. Und gottseidank kein Devotionalien-Handel, wie man es aus anderen Geburtshäusern kennt, dem Hermann Hesses in Calw etwa, wo man sich nicht entblödet, gerahmte Nägel aus dem Gebälk feilzubieten. Müller und Böhm wollen nach vorne schauen. Wollen sich mit zeitgenössischer Literatur befassen. Dass sie darin sehr geübt sind, haben sie längst an der Neustraße bewiesen. Aber genug. Gehen wir weiter.
Heines Düsseldorfer Zeit war kurz. Kindheit und Jugend verbrachte er hier. Dann zog es ihn weg, zunächst nach Hamburg, zu seinem reichen Onkel Salomon, später nach Frankreich. Und doch prägte ihn Düsseldorf. Wo er zum Beispiel auf Napoleon traf, dem er lange verbunden blieb, weil der Kaiser nach seinem Einzug im Jahre 1811 die Juden gleichstellte. Heine war gerade 14 Jahre jung, als Napoleon verbotenerweise über die Allee des Hofgartens ritt.
Aber weiter. Düsseldorf und Heine. Eine schwierige Beziehung. Denn obschon sich die Stadt heute mit ihrem großen Sohn brüstet, ihn feiert und ehrt, hatte es Heine posthum nicht gerade leicht in der heutigen Landeshauptstadt. An der Universität etwa stritt man Jahrzehnte darüber, ob man sich nach dem Dichter benennen soll. Ein peinliches Stück Geschichte, das vor allem von Naturwissenschaftlern geschrieben wurde. Erst seit 1988 heißt die Hochschule Heinrich-Heine-Universität.
Aber nicht nur die Namensgebung der Uni hat lange gedauert. Bereits 1888 wollte Kaiserin Elisabeth von Österreich – ja, Sissi – Heine ein Denkmal setzen. Es scheiterte an den Preußen. Wieder die Preußen! Und später verhinderten die dumpfen Nazis ein Gedenken zu Ehren des Dichters. Erst 1981, zum 125. Todestag Heines, wurde ihm ein Monument gewidmet. Es steht am Schwanenmarkt, von dem der Mann von der Rheinbahn standhaft behauptet, es gebe ihn nicht. Es gibt ihn aber doch, südlich der Bolkerstraße. Gleich sind wir da.
Der Schwanenmarkt ist ein kleiner Park. Blick auf eine lärmende Mehrspurstraße, Bäume, ein trostloses Stück Wiese. Mittendrin: das „Fragemal“ von Bert Gerresheim. Der Düsseldorfer Künstler schuf es Ende der 1970er Jahre im Auftrag des Bankiers und Mäzens Stefan Kaminsky. Gerresheim nahm Heines Totenmaske als Vorlage, vergrößerte sie, teilte sie, und goss ein hübsches Vexierspiel, ein Puzzle aus Gesichtsteilen und Elementen, die auf Heines Leben und Schaffen verweisen.
Schön allerdings ist es anderswo. Hier nicht. Autos grölen vorbei, drüben sitzt ein Mann mit Bier, er rülpst. Also weg hier. Wieder stadteinwärts. Unweit liegt das Heinrich-Heine-Institut, zentraler Anlaufpunkt für Wissenschaftler einerseits, Literaturpilger andererseits. Im Haus befindet sich das Heine-Museum, das einzige weltweit. Und nun: staunen. Denn bis Anfang März ist das Museum geschlossen. Dann erst, mit dem Beginn einer großen Schau zu Heine und Robert Schumann, der auch vor 150 Jahren verblich, öffnet das Haus wieder seine Pforten. Aber, naja, gut dass heute nicht Heines 150. Todestag ist. Sonst hätten sicher ein paar Menschen reingeschaut. Um sich mit Heine, mit seinen zeitlosen Schriften zu befassen. Denn dazu sind Gedenkjahre doch da. Und nicht bloß, damit die Verlage wieder unzählige Neuauflagen verscherbeln können. Oder Nägel womöglich!
Dann noch flugs zum Jan-Wellem-Denkmal auf dem Marktplatz. Hier war Heine gerne. Stand vor der Reiterstatue, kletterte drauf. Und rätselte. Es heißt nämlich, dem Künstler, der das Denkmal erschuf, sei das Material ausgegangen. Weshalb ihm die Menschen Silberlöffel brachten. Und Heine fragte sich, wie viele Löffel wohl drinstecken, und wie viele Apfeltörtchen man davon kaufen könnte. „Apfeltörtchen waren nämlich damals meine Passion“, schreibt Heine. In der Nähe des Denkmals wurden sie verkauft. Von einem „säbelbeinigen Kerl“. Und nun: von Apfeltörtchen keine Spur. Apfeltörtchen! Das wäre was. Warm, dampfend. Dort ist ein Café.
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