Angst vor den Klippen

„Là-bas“ (Forum) von Chantal Akerman ist ein Werk der Selbstüberwindung. So viel Vergangenheit und Schmerz, so viel tröstender Alltag und Gegenwart in Tel Aviv

Die belgische Filmemacherin Chantal Akerman war nach Tel Aviv eingeladen, an der Universität zu unterrichten. Da ist ihr Film „Là-bas“ entstanden, obwohl sie eigentlich nie in Israel filmen wollte: „Ich hatte das Gefühl, dass das keine gute Idee, ja sogar eine unmögliche Idee ist – fast lähmend und geradezu abstoßend. Ich hatte Angst, mir die Finger zu verbrennen und den Verstand, Angst vor den Klippen meiner Subjektivität, die mir bei diesem Thema gefährlich und konfus vorkam. Wenn ich von Dingen sprechen will, die mir nahe sind, zu nahe, mache ich einen Umweg. Der Umweg erschüttert mich zwar auch, aber es ist dennoch nicht der direkte Weg.“

Chantal Akerman ist in ihren Filmen immer schon obsessiv und meisterhaft mit Innenräumen beschäftigt: In „Saute ma Ville“ (1968) stellt sie eine kleine Küche auf den Kopf. In „Hotel Monterey“ (1972) durchmisst sie mit ihrer Kamerafrau Babette Mangolte in axialen Bewegungen ein Emigrantenhotel in New York und gibt der Kameramaschine dokumentarisches Futter. In „Je tu il elle“ (1975) räumt die junge Chantal Akerman ein Zimmer leer und bleibt dort mit ihrer Einsamkeit, einer Matratze und dem Puderzucker, den sie sich einverleibt.

Den neuesten Innenraum fand sie in Tel Aviv. Denn dort war eines Tages trotz ihrer Bedenken ein erstes Bild da, gefilmt aus dem Fenster ihrer Gastwohnung durch die Rollos hindurch: ein altes Paar auf einer Dachterrasse. Sie sitzt, er stellt einen Spiegel für sie auf und läuft mit breitbeiniger Geschäftigkeit herum, räumt hin und her. Die Rollos mit den feinen Lamellen bilden einen Filter vor der Außenwelt, sie dämpfen das Licht, lasieren die südlichen Farben und bewegen das, was im Bild dahinter und jenseits liegt, bei jedem Windhauch mit. Grenzen verwischen sich, es ist ein ganz und gar bildlicher Vorgang.

Die Schichtungen des Innen und Außen, die abgetönten Farben, Früchte in einer Schale im Zimmer, die Klimaanlagen an den kubischen Bauten. Rauschen, großer Himmel, ein Hupen, ein Flugzeug. Gleißendes Licht in den schmalen Durchblicken. Es ist schön in der Bauhausstadt Tel Aviv.

Oder könnte es irgendeine Stadt sein am Meer? Der Film bietet und fordert den Raum und die Zeit nachzudenken. Es wird nicht gegengeschnitten auf einen mächtig-ohnmächtigen Beobachter, wir, die ZuschauerInnen, sind der Gegenschnitt. Gelegentlich hören wir Chantal Akermans weiche, tiefe Stimme aus dem Off, wie sie einsilbig freundlich auf Telefonanrufe antwortet, wie sie Verabredungen absagt, weil sie nicht abgelenkt werden möchte. Sie kann kaum hinausgehen, und das hat nicht nur etwas mit dem Attentat zu tun, das ganz in der Nähe der Wohnung stattfand. Ihre eigene Mutter, Schoah-Überlebende, konnte in Brüssel nicht auf die Straße gehen. Aber wenn das alles so viele Schichten hat, was ist dann mit diesem freundlichen Alltag, fragen die Bilder des Films? „Man muss Israel ins Gesicht schauen“, sagt sie sich da drinnen, als ob sie den Belagerungszustand des Landes noch mal nachspielen müsste. Und erzählt aus Gesprächen: „Ich könne mich entscheiden, sagt der Grenzbeamte, ob ich den Israel-Stempel im Pass haben will.“

Die Filmemacherin hat sich immer mit dem Bilderverbot herumgeschlagen: „Das Kino ist gefährlich mit seinem Emblematismus in dieser binären Welt, und dann kommt mein Widerspruchsgeist, aber auch der macht ja diese Unterteilungen. Oft gucke ich geradeaus. En face, das führt weniger zur Idolatrie in dieser idolatrischen Welt“, schreibt sie im Katalog zur großen Retrospektive im Centre Pompidou 2004.

Ganz zum Schluss gibt es plötzlich Zeitrafferbilder vom Himmel, explosive Bewegungen der Kamera, bis alles wieder zur Stille kommt und ein ruhiger Mann aus der Universität sie besucht, der weiß, dass es schwer ist, aus dem Gefängnis herauszugehen.

MADELEINE BERNSTORFF

„Là-bas“. Regie: Chantal Ackerman. Frankreich, 79 Min. 17. 2., 12.30 Uhr Arsenal 1