kleine heinekunde (3)
: Der liebe Gott

Eine vertrackte Frage. In einem richtigen Heine-Lexikon stünde jetzt: siehe Jehova, Hegel, Christus & Co., Athen und Jerusalem, antike Götterwelt, Morphium. Der Dichter will sich nicht festlegen lassen. Er ist Deutscher in Paris, monarchistischer Revolutionär, witzelnder Tragiker, seine Perspektive schwankt immer zwischen Goethe und Marx.

Als junger Mann hat er Hegel und die Antike entdeckt. Aber auch sein Judentum beschäftigt ihn. Er ist mit den jüdischen Traditionen aufgewachsen, benutzt in Briefen immer wieder hebräische Ausdrücke, die eine gute Kenntnis von Sprache und Bräuchen voraussetzen. Trotzdem schreibt er nie ausdrücklich über seine eigene jüdische Kindheit. Er ist dort nicht zu Hause, er sieht immer über die eigene Schulter, weil er sich besser in der jüdischen Überlieferung auskennt, als für einen deutschen Romantiker gut ist. „Ich bedaure, damit nicht dienen zu können“, schreibt er 1835 spitz über Vermutungen in Deutschland, er sei Jude. Viel später, schon auf seinem Totenbett, protestiert er: „Ich mache keinen Hehl aus meinem Judenthume, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin, da ich es niemals verlassen hatte.“ Seiner Frau Mathilde aber hat er nie erzählt, dass er Jude sei.

Religion ist das, was bindet, und als todkranker Mann sucht er Rückhalt. Er liest in der Bibel und schreibt 1850: „Ich habe den Hegelschen Gott oder vielmehr die Hegelsche Gottlosigkeit aufgegeben und an dessen Stelle das Dogma von einem wirklichen, persönlichen Gotte. wieder hervorgezogen.“ Hegel hat keine Antwort auf die Leiden des Hiob.

Heine beginnt wieder, sich mit dem Glauben seiner Väter zu beschäftigen, eben weil ihm scheinbar eine höhere Macht übel mitspielt. „Die heidnischen Götter hätten einem Dichter nicht angethan, was mir geschieht; so etwas thut bloß unser alter Jehovah!“ Auch hier bleibt er der rebellische Sohn. Der schwierige, oft grausame Vater im Pentateuch ist existenziell relevanter als der alles süßlich vergebende Gott der Christen.

Religion lindert, und Heine weiß, dass er auch Betäubung sucht. Morphium, schreibt er und stellt Marx damit auf den Kopf, ist auch eine Religion. Wer nicht glaubt, kann auch von keinem Glauben abfallen.

Einmal, im Nachwort zu seinem „Romanzero“, bekennt er doch Farbe, „nämlich, daß ich als Dichter sterbe, der weder Religion noch Philosophie braucht, und mit beiden nichts zu schaffen hat. Der Dichter versteht sehr gut das symbolische Idiom der Religion und das abstracte Verstandskauderwelsch der Philosophie, aber weder die Herren der Religion noch die der Philosophie werden jemals den Dichter verstehen.“ Ein Dichter lebt durch sein Vertrauen in ein symbolisches Idiom. Heißt das, dass er daran glaubt? PHILIPP BLOM