: Auf Tragen fixiert ins Krankenhaus
GERÄUMT Der Hunger- und Durststreik der Asylsuchenden aus dem Iran, Afghanis-tan, Äthiopien, Syri-en und Sierra Leone auf dem Münchner Rindermarkt wurde durch einen Polizei-einsatz beendet
AUS MÜNCHEN MARLENE HALSER
„Akute Räumungsgefahr am Rindermarkt! Feuerwehr, Rettungswägen und Lkws mit Betten sammeln sich an der Theresienwiese! Bitte sofort kommen“, hatten die Unterstützer von Refugee Tent Action gegen vier Uhr morgens noch auf Facebook gepostet. Eine Stunde später war es so weit: 350 Polizisten rückten an, um das Flüchtlingscamp in Münchens Innenstadt zu räumen.
Darunter waren auch Beamte des Unterstützungskommandos (USK), das für Einsätze mit besonderem Gefährdungspotenzial bestimmt ist. „Wir haben den Versammlungsort schlagartig umstellt“, so Münchens Polizeivizepräsident Robert Kopp nach der Aktion. Dann habe man den Rettungskräften schnellstmöglich Zugang verschafft.
Damit war der Hunger- und Durststreik der zuletzt noch 44 Asylsuchenden aus dem Iran, Afghanistan, Äthiopien, Syrien und Sierra Leone beendet. Seit mehr als sieben Tagen hatten sie nichts gegessen und seit fünf auch nichts mehr getrunken. Die stark geschwächten Menschen wurden ins Krankenhaus gebracht – zum Teil gegen ihren Willen. Einige wurden von Polizei und Rettungskräften auf Tragen fixiert, wie Augenzeugen berichteten.
Begonnen hatte die Aktion am Samstag vor einer Woche. Nach einer Demo gegen Bayerns Flüchtlingspolitik ließen sich etwa einhundert Demonstranten auf dem nur wenige hundert Meter vom Marienplatz entfernten Rindermarkt nieder und traten in Hungerstreik. Gemeinsam mit UnterstützerInnen errichteten sie ein Zeltlager. Ihr Ziel: Anerkennung aller Asylsuchenden als politisch Geflüchtete und einen Stopp aller Abschiebungen.
Als die ersten Streikenden in der Nacht zum Mittwoch wegen Dehydrierung kollabierten und per Rettungswagen ins Krankenhaus transportiert werden mussten, initiierte die Regierung von Oberbayern im Auftrag des Sozialministeriums einen „runden Tisch“. Dort bot das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an, die Asylverfahren zu beschleunigen und die Anträge aller Streikenden binnen zwei Wochen zu bearbeiten – jedoch ohne Garantie auf einen positiven Bescheid.
Weil sich im Camp auch Flüchtlinge befanden, deren Asylanträge bereits abgelehnt waren, gingen die Streikenden nicht auf das Angebot ein. „Diesmal werden die Flüchtlinge den Protest so lange aufrechterhalten, bis ihre Forderungen erfüllt sind“, so deren Sprecher zur taz. Diese Forderung hielt er bis zu seiner Festnahme am Sonntagmorgen aufrecht.
Auf dem Rindermarkt spielten sich dramatische Szenen ab. Immer wieder mussten dehydrierte Asylsuchende von den Rettungskräften auf Baren gehievt und zum Krankenwagen gebracht werden. Bis zum Sonntag waren nach Angaben der Stadt 21 Menschen kollabiert, einige sogar mehrmals, weil sie nach wenigen Stunden in medizinischer Behandlung wieder ins Camp zurückgekehrt waren, um den Streik fortzusetzen. Ein Mann erlitt einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Zudem kam es immer wieder zu lautstarken Diskussionen zwischen Unterstützern und Passanten, die ihre rassistischen Ansichten unverhohlen und lautstark zum Ausdruck brachten und die Streikenden als „Kanaken“ und „Neger“ beschimpften.
Am Freitagabend schließlich berief Münchens Oberbürgermeister Christian Ude einen Stab für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) ein. Am Samstag verständigten sich Bayerns Regierung und die Stadt München zudem auf einen erneuten Vermittlungsversuch: Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und Ex-CSU-Politiker Alois Glück besuchten das Zeltlager und führten anschließend im nahe gelegenen Stadtmuseum ein Gespräch mit zwei Anwälten und dem Flüchtlingssprecher.
„Das war eine Lachnummer“, so Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat, „da kamen zwei respektable alte Männer – ohne Verhandlungsmandat.“ Sie forderten, die Flüchtlinge sollten den Streik sofort beenden – dann könne man über die Bedingungen verhandeln, unter denen Asylbewerber in Bayern leben müssen. Wieder lehnten die Streikenden ab.
Weil der Sprecher der Flüchtlinge den Rettungskräften den Zugang zu den Hungernden verwehrte, ließ das Kreisverwaltungsreferat die Versammlung verbieten. Als weder Unterstützer noch Streikende Anstalten machten, das Camp abzubrechen, begann die Polizei mit der Räumung.