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Archiv-Artikel

Vogelgrippe: Missglückte Generalprobe

Das H5N1-Virus ist auch amtlich in Deutschland angekommen. Und es wird sich weiter ausbreiten. Nun geht es darum, den Seuchenschutz zu optimieren. Denn die ersten Maßnahmen auf Rügen dauerten kritischen Experten und Politikern zu lange

VON BEATE WILLMS

Es ist amtlich: Die Vogelgrippe ist in Deutschland angekommen. Gestern bestätigten Tests endgültig, dass die beiden Schwäne, die auf Rügen gefunden worden waren, das Virus H5N1 in sich trugen. Diese Variante kann auch für den Menschen gefährlich werden. Nach heutigem Stand allerdings nur, wenn Nutzgeflügel oder Haustiere H5N1-infiziert sind – es gibt bisher keinen Beleg, dass das Virus direkt von Wildvögeln auf Menschen übertragen werden kann. Unklar ist, ob die Schwäne an der Infektion oder aus anderen Gründen gestorben sind – am Ende des Winters sind tote Zugvögel nach Angaben verschiedener Veterinärämter nichts Besonderes.

Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) sagte in einer Regierungserklärung, er gehe davon aus, dass sich die Vogelgrippe weiter im Land ausbreitet. Er betonte aber, dass es sich immer noch um eine Tierseuche handle. Auch der Veterinär-Spezialist der Freien Universität Berlin, Mohamed Hafez relativierte die bisherigen Opferzahlen der Vogelgrippe, die seit 2003 weltweit rund 90 Menschenleben forderte. „In Deutschland sterben jedes Jahr fünf- bis achttausend Menschen an der gewöhnlichen Grippe.

Matthias Stoll, Infektiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, erklärte allerdings, dass „die Mutation des Virus längst überfällig“ sei. „Wir warten alle darauf, dass sie eintritt.“ Die Entwicklung des H5N1-Virus zu einem Erreger, der von Mensch zu Mensch übertragen werden kann, ist das Schreckbild der Experten. Sie könnte zu einer weltweiten Seuche, einer Pandemie führen.

Seehofer verteidigte daher die ab heute geltende Stallpflicht für Geflügel sowie das Verbot von Märkten und Ausstellungen mit Vögeln. „Der Schutz des Menschen steht an erster Stelle“, so der Minister. Zugleich nahm er die Verbraucher selbst in die Pflicht. Eltern müssten dafür sorgen, „dass Kinder tote Vögel nicht anfassen“. Aber auch Erwachsende sollten den Kontakt mit verendeten Tieren und Kot meiden und tote Vögel sofort an die Behörden melden. Für Fragen verwies Seehofer auf eine Bürger-Hotline seines Ministeriums. Diese ist montags bis freitags jeweils von 9 bis 17 Uhr unter den Nummern (0 18 88) 5 29-46 01/-2/-3/-4/-5 erreichbar.

Die Generalprobe der Antiseuchenmaßnahmen auf Rügen bezeichneten etliche Politiker und Experten als misslungen: Die toten Schwäne waren schon vor über einer Woche gefunden worden. Das Ergebnis des Schnelltests kam erst 6 Tage später. Und noch gestern lagen weitere Vögel auf dem Eis, die schon länger tot sind. Insgesamt, so schätzte der Leiter des Amts Nordrügen, Karl-Heinz Walter, gebe es auf der Insel noch mindestens 100 nicht untersuchte Kadaver. Er bat um Hubschrauber, um das Gebiet besser absuchen zu können. Die Schweriner Landesregierung will außerdem zusätzliche Ärzte auf die Insel schicken, die die Geflügelbestände auf Ansteckungen untersuchen sollen.

Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn hält die Probleme auf Rügen für den Beweis, dass die Seuchenbekämpfung in Deutschland schlecht organisiert ist. Bislang liegen die wesentlichen Kompetenzen bei den Landesregierungen. Und die agieren sehr unterschiedlich. So hat Nordrhein-Westfalen nach eigenen Angaben für rund 30 Prozent der Bevölkerung antivirale Medikamente gekauft, die bei einer Pandemie verteilt werden können. In Hamburg oder Brandenburg sollen die Vorräte für weniger als 10 Prozent reichen. „Wir brauchen einheitliche Standards“, sagte Höhn. Zudem forderte sie mobile Einsatzstationen, die mit Tierärzten besetzt sind und die – wie auf Rügen – kurzfristig zu Krisenherden fahren können.