Merkel betritt Neuland

DEUTSCH-AMERIKANISCHE KRITIK Kanzlerin wagt erstmals deutliche Worte zu den US-Lauschangriffen: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“

BERLIN taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die mutmaßlichen Abhöraktionen des US-Geheimdienstes in der Europäischen Union scharf kritisiert. Wenn sich entsprechende Berichte bestätigten, „dann müssen wir klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. „Das geht gar nicht. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der britische Guardian hatten am Wochenende über Lauschangriffe des amerikanischen Geheimdienstes auf EU-Einrichtungen und diplomatische Vertretungen von EU-Staaten berichtet. Demnach überwachte die National Security Agency (NSA) auch in Deutschland monatlich rund eine halbe Milliarde Telefonate, E-Mails oder SMS.

Auch andere Kabinettsmitglieder äußerten Kritik: „Wir haben Verständnis für Terrorismusbekämpfung“, sagte FDP-Chef Philipp Rösler, nicht aber für „zielloses, wahlloses und hemmungsloses Ausspionieren von Bürgern“. Die FDP fordert – ebenso wie andere Parteien – einen Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte eine Entschuldigung der USA.

Regierungssprecher Seibert betonte, die Regierung halte an dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen EU und USA fest. „Klar ist aber auch: Um solch ein Abkommen auszuhandeln, braucht man beiderseitiges Vertrauen.“ Diese Atmosphäre müsse wiederhergestellt werden.

Die Äußerungen Seiberts, der für die Kanzlerin spricht, sind eine klare Warnung an Washington. Merkel hatte vor zwei Wochen beim Berlin-Besuch des US-Präsidenten mit Barack Obama auch über Datenschutz gesprochen. Dass wenig später Aushorchaktionen solchen Ausmaßes öffentlich werden, wird in Berlin als Affront gesehen.

Die Opposition äußerte sich ebenfalls empört. Sie sieht jedoch die Kanzlerin in der Verantwortung. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel unterstellte Merkel Mitwisserschaft. „Die Reaktion der Kanzlerin lässt den Verdacht zu, dass ihr die Ausspähung […] zumindest dem Grunde nach durchaus bekannt war“, schrieb Gabriel in der FAZ. US