: Crying children … deeply thankful
Bob Geldof, Hellmuth Karasek und ein Geschmacks-Satan von den Scorpions beim „Cinema for Peace Award“ in Berlin – und jede Menge „Neuer Bürgerlicher“, die sich für jung und revolutionär halten, weil sie das Gutsein zur „größten Bürgerrechtsbewegung aller Zeiten“ gemacht haben
VON JOACHIM LOTTMANN
Als ich zurückfuhr, spät um halb zwei, hatte ich zwei Galgenvögel im Wartburg, die Crack geraucht hatten. Erst überredeten sie mich, noch ins „Kitkat“ zu fahren, einen Sadomaso-Club am Ende der Stadt. Das wirre, aggressive Geschnatter des einen und vor allem sein hässliches, stoßweises Lachen setzten mir so zu, dass ich anhielt und die beiden Verbrecher aus dem Auto zerrte. Sie ließen es geschehen. Die Ampel schlug um auf Rot, ich trat das Gas durch, der Blechhaufen schoß nach vorn. Hinter mir war ein Polizeiauto, das mich sofort an den Rand drängte und mir den Führerschein abnahm.
So endete der Abend. Er begann mit dem Brüllen der Fotografen beim Eintreffen der „Prominenten“. Für mich war das alles neu, denn eine Charity Gala zu besuchen passte zu meiner linken Sozialisation so wenig wie Swinger Fuck und Houellebecq-Lesen zum bayerischen Ministerpräsidenten. Dachte ich. Aber längst haben sich alle Fronten verdreht. Das Klischee sei trotzdem nochmal skizziert: Der Feind, das war für mich, als ich 17 war, Ute Ohoven, die „Queen of Charity“. Das war für mich Amerika, dieses Land, das den Planeten ruinierte und von skrupellosen alten Leuten regiert wurde, die sich auf Wohltätigkeitsgalas selbst feierten, mitsamt ihren faltigen, schrecklichen Ehefrauen in Abendkleidern. Ich war definitiv Europäer und setzte auf das Potenzial des Geistes, der zum Widerstand, zur Tat drängte. Almosen statt Aufklärung? Niemals, dachte ich. Der Cinema for Peace Award versammelte nun nicht nur Reiche und Alte samt Gattinnen. Alt waren sie zwar und reich auch, und ohne Gattin kam niemand. Aber das alles sagte nichts. Wie werden solche Worte dürr, wenn Bob Geldof vor einem steht.
Er fixiert mich. Bevor ich etwas sagen kann, kommt dieser Mensch von den Skorpions dazwischen und redet auf uns ein. Dann geht Geldof weg, und ich stehe mit diesem wahren Geschmacks-Satan (Krokoleder-Jackett, gelbe Haare, Snoopy-Rennfahrerbrille) alleine da. Er erzählt er mir über das Scorpions-Konzert im Kreml 1991.
„Gorbatschow sagte uns damals, der Rock hat den Kommunismus aufgeweicht und so weiter, und so ist das auch heute, also wenn steter Tropfen den Stein höhlt …“
Er meint wohl, wenn jeder jeden Tag ein kleines bisschen mehr Gutes tut, indem er spendet, ließe sich die Zerstörung und Ausbeutung der Erde rückgängig machen. Zum Glück kommt Hellmuth Karasek vorbei, einer der zehn Gerechten in dieser Ansammlung. Ich mache einen Satz auf ihn zu.
„Herr Karasek, wie kommen denn SIE hierher? Letzte Woche noch diese schöne Sendung mit Reich-Ranicki im Literarischen Quartett über Heinrich Heine, und jetzt erwische ich Sie hier neben der Busenmacherwitwe Tatjana Gsell und Bild-Luder Jenny Elvers, und auf der Bühne singt Berufspornograf Rolf Eden ‚Imagine‘ von John Lennon!“
„Na, wenn’s für einen guten Zweck ist?“
„Sie halten ‚Charity‘ also für eine sinnvolle Idee …“
Ich erzählte von dem Spekulanten George Soros, der ganze Volkswirtschaften ruinierte und dennoch als Wohltäter durch die Medien spazierte, da er ab und zu ein Waisenhaus finanzierte.
Karasek wurde verlegen:
„Jetzt haben Sie mich doch in eine ziemliche Zwickmühle gebracht.“
„Sehen Sie! Und die 200 Milliarden Dollar für zusätzliche Kampfjets, die niemand braucht im Zeitalter von al-Qaida, die sind –“
„Moment! Das ist ein gutes Beispiel. Kein einziger Kampfjet weniger würde gebaut, wenn die Rüstungsindustrie KEINEN Dollar auf Wohltätigkeitsveranstaltungen spendete.“
Ich sagte, da gebe es sehr wohl einen Zusammenhang. Seit Jahrhunderten sei der kritische Geist die einzige Waffe gegen Machtmissbrauch und Kriegstreiberei. Spätestens seit dem Tsunami-Spendenwahnsinn sei das kritische und kreative Potenzial der Menschheit aber in der trüben Suppe des Gutmenschentums versunken. Die Folgen seien verheerend, vor allem für Künstler, die diese Bezeichnung noch verdienten … Wir diskutierten lebhaft. Auf einen gespendeten Dollar kämen tausend, die aus dem Land herausgepresst würden, und so weiter. Ich legte mich total ins Zeug, hatte es wohl nötig. Schließlich sah Karasek sich um, nickte mir gelangweilt zu. Minuten später war er gegangen. Ich Idiot!
Die Tafel war vom Feinsten. Soviel Prunk und Fünf-Sterne-Küche war selbst für eine europäische Hauptstadt außergewöhnlich. Unter 14 haushohen Kronleuchtern mit je 100 Kerzen verspeisten die „Neuen Bürgerlichen“ des Landes einen Großteil der Spendengelder, die doch angeblich Millionen Kinder vor dem Hungertod retten sollten. Es waren gar nicht einmal alte Leute, die hier den feinen Herr mit Begleitung gaben, gar nicht diese Klischeebonzen alter Elite-Herrlichkeit, sondern eine Art Pop-sozialisierter Mittelbau. Leute, die „Rock“ oder auch „Rock-Kultur“ im Kopf hatten und sich für jung hielten, für unspießig, für „locker“. Und natürlich für revolutionär, weil sie das Gutsein zur „größten Bürgerrechtsbewegung aller Zeiten“ gemacht hatten, wie ein Filmchen zwischen den Performances behauptete. Sie glaubten allen Ernstes, Bob Geldof sei ein Popstar.
Cinema for Peace Award – was war das überhaupt? Es musste jedenfalls mit der Unicef und diesem Live-Aid-Concert zu tun haben, das auf der Riesenleinwand aufflackerte.
Bärbel Schäfer moderierte den Abend. In Worten: BÄRBEL SCHÄFER. Und die angekündigten Superstars, die all die betuchten Spießer anlocken mussten – kamen natürlich nicht. Wie immer. Richard Gere – kam nicht. George Clooney – kam nicht. Das alte Spiel. Wer fiel darauf nur noch rein? Und dann die immer und ewig gleiche peinliche Oscar-Verleihungs-Imitation, mit George-Lucas-Fanfaren. Mit englischen Ansagen vom Tonband. Mit zu Tränen gerührten Preisträgern. Deren Stimme dann plötzlich fest und männlich wird, wenn es ums Thema „Gutes tun“ geht. Es fallen Worte wie crying children … social responsibility … deeply thankful … et cetera. Eine Tibeterin im Himalaya-Trachtenkleid singt Folklore, wahrscheinlich irgendein Friedenslied. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn auch mal Hansi Hinterseer im Gegenzug „deutsche Folklore“ für den Frieden schmachten dürfte, in Sepplhosen wie alle Deutschen. Da wäre das Ausland doch auch gerührt.
Ich renne wieder in den umtriebigen Bob Geldof hinein, der mich sogar wiedererkennt und etwas in den Block diktiert: „Tell the people: Cinema for Peace is ‚Oscar with brain‘.“
„Oh! How nice, I’ll do so. Something else … for the Germans?“
Er guckt eine Sekunde sehr nachdrücklich und geht dann an mir vorbei, einfach weg. Ein wichtiger Popstar, der macht das so. Ich verstehe das. Würde ich auch so machen, wenn ich einen Hit in 26 Jahren geschafft hätte …
Tja, und das alles im schönsten Gebäude Berlins, dem prachtvollen Konzerthaus am Gendarmenmarkt, klassizistisch, quadratisch, riesengroß. Alles ist hell, im Ebenmaß, von einer Schönheit, die auf Vernunft fußt, im Preußen der Aufklärung erdacht und später in Gold getaucht. Furtwängler und Toscanini haben hier gespielt. Nun aber sitzen hier laut offizieller Gästeliste der Frisör Udo Walz, der unvermeidliche Wim Wenders (der aber recht nett aussah), Prinzessin Maria Theresia von Thurn und Taxis … und die bullig-bösen Kräfte vom Sicherheitsdienst, alles argwöhnisch beobachtend, viel zu oft einschreitend, sehr unangenehm. Die Gäste sollen denken, alles sei ungeheuer wichtig, und mindestens Condoleezza Rice säße im Foyer. Wer sich hier noch wohl fühlt, hat nie eine echte Party besucht, etwa in Mitte, etwa im neuen White Trash. Da müssen Bullen hübsch draußen bleiben. Und Fake-Bullen erst recht. Aber nun kommt, so verspätet wie plötzlich, der Regierende Partymeister von Berlin, Klaus Wowereit. DER ist nun als Einziger wirklich locker. Wowi ist Pop. Er wirft sich weg vor Lachen, besonders bei Frauen, und wenn er geht, schäkert und schlenkert er wie Harald Juhnke selig, nach beiden Seiten grüßend, oft eingerahmt von Männern, die seine Nähe suchen. Er trägt auch keinen Smoking und keine Fliege (wie vorgeschrieben), sondern den bekannten Politikeranzug aus dem Rathaus. Wenn die „Stars“ ihr Bühnenprogramm machen, mit Rühr-Ansagen, Gutmensch-Reden, Filmchen, Pianogeklimper und einer Versteigerung, liest er völlig ungerührt in mitgebrachten Akten, wie im Plenum während einer Rede der gegnerischen Partei. Am schlimmsten ist der Pianist, ein Chinese, der in die Tasten schlägt wie ein Rummelplatzanimateur. Zwischendurch soll es sogar Schumann gewesen sein, zarte deutsche Töne, die vom Geklirr des Bestecks der hemmungslos Hungrigen verschluckt wurden. Anschließend klatschen und johlen sie wie Berserker, werfen Messer und Gabel weg und schlagen die groben breiten Hände aufeinander, dass der Lärm wehtut.
Es ist noch immer nicht vorbei, um 23 Uhr. Im Gegenteil. Die After-Show-Party beginnt. Jeder Zweite juckt sich nun an der Nase, die Toiletten sind überfüllt, die Augen sind starr, aufgerissen, euphorisch, und doch abgeschnitten von jedem echten Gefühl. Gruselig, mit einem Wort. Die Leute fühlen sich großartig. Jede Art von schlechtem Gewissen hat aufgehört, zu existieren. Auch jedes Schamgefühl. Alles, was immer peinlich an ihnen war, was sie zu kleinen Menschen gemacht hatte. All ihre Laster und schlechten Gefühle, alles wird zu einem durchgehenden weißen Streifen. Lambada-Stimmungsmusik schrillt durch die Säle. Frauen tanzen „sexy“ zu Schmierenhits wie „It’s raining men“ oder Michael Jacksons „Thriller“, es sieht aus wie verunglückter Bauchtanz, und die Männer, wie alle Männer in Anzügen, gefallen sich in Abarten von Sirtaki-Bewegungen. Plötzlich habe ich eine Eingebung: Auffallend viele der jungen Frauen wirken ganz anders als ihre männliche Umgebung, nämlich durchaus unschuldig. Wie kann das sein? Tatsächlich wäre die ganze Geschichte hier, diese Dollarsause, nichts ohne die schönen, unschuldigen Mädchen. Sie sind der Motor. Ohne sie wären die Prominenten nicht prominent. Wäre das ganze Geld nichts wert. Ich frage eine:
„Warum bist du hier? Bei diesen Angebertypen? Und die vielen anderen tollen Mädchen?“
„Weil Frauen sich fortpflanzen wollen. Und das ist der Weg …“
Wir unterhielten uns. Wir lebten angeblich wieder in Zeiten, in denen normale junge Männer nur eine Loser-Existenz anzubieten hatten, also keine. Ich wusste nicht, ob ich diese Frauen hier, die das Geld beim Schopfe packten und dabei so süß aussahen, emanzipiert oder teuflisch finden sollte.
Wie der Abend ausging, erzählte ich ja schon. Am nächsten Tag wurde die Summe der steuerlich abgesetzten Spenden dieser Veranstaltung veröffentlicht, satte 480.000 Euro. Ein schöner Betrag, für das nächste Festfressen.